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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus
Autoren: Gerd Luedemann
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christlichen
     Mythos destruiert hat, und der Glaube, der als vagabundierende Sehnsucht gegen die Evidenz immer wieder seine Hand zu etwas
     Höherem hin ausstreckt.

|110| 28. Glaube und Wissen 1
    I.
     
    Wissen ist in der Alltagssprache ein ziemlich eindeutiges Wort, Glauben dagegen nicht. Wissen zielt auf Überprüfbarkeit, Allgemeingültigkeit,
     Rationalität und Objektivität. Griechische Philosophen waren die ersten, die wirkliches Wissen von bloßer Meinung oder nur
     Glauben unterschieden. Glauben ist nämlich vieldeutig. Glauben kann etwa als bloße Meinung rein negativ verstanden werden.
     »Ich glaube« heißt dann so viel wie: »Ich weiß nicht genau«. Ferner zeigt sich die Vieldeutigkeit des Begriffs Glauben dort,
     wo jemand einem anderen seinen Glauben lassen will, d.h. darauf verzichtet, ihn in einem konkreten Fall von dem an sich richtigen
     Gegenteil zu überzeugen. Hier hat Glauben den Beiklang von Illusion. Ähnliches kommt dort zum Ausdruck, wo jemand bedauert,
     er könne im Gegensatz zu einem anderen nicht mehr glauben. Hier ist Glaube etwas, das dem Sprecher nicht mehr zugänglich ist,
     offenbar weil die Realität ihm diesen Weg versperrt.
    Die Relativierung der Gültigkeit des Glaubens in der Neuzeit ist eng mit der Abkehr der Wissenschaften von der Kirchenlehre
     verbunden. Wissen war fortan – wenigstens von seinem Anspruch her – rational begründet; Glauben wurde mit Irrationalität zusammen
     gesehen. Den irrationalen Beigeschmack des Glaubens gab der Massenpsychologe Gustav Le Bon vor einem Jahrhundert folgendermaßen
     wieder. Die religiösen Führer »konnten in den Seelen jene furchtbare Macht erzeugen, die Glaube heißt und den Menschen zum
     völligen Sklaven seines Traumes macht.« Die Frage stellt sich |111| hier allerdings, ob nicht in der Fähigkeit zum Glauben ein enormes, gegebenenfalls auch positiv zu wertendes Potential steckt
     und ob nicht zuweilen Wissen in sein gerades Gegenteil umschlagen kann. Das geschieht regelmäßig dort, wo es seine eigenen
     Möglichkeiten überschätzt und ideologische, nicht mehr hinterfragbare Züge annimmt. Doch habe ich mit diesen Überlegungen
     schon vorgegriffen. Ich komme später darauf zurück.
     
    II.
     
    Wenden wir uns zunächst wieder dem Glauben und seiner christlichen Interpretation zu. In den christlichen Gemeinschaften wird
     Glaube zumeist mit weiteren Bestimmungen verbunden. Hier ist das Objekt des Glaubens entscheidend: Vater, Sohn, Heiliger Geist,
     denn der Inhalt des Glaubens macht den Unterschied aus gegenüber rivalisierenden Bestimmungen. Innerchristliche Unterschiede
     werden dann durch weitere Glaubensobjekte wie Jungfrauengeburt, Auferstehung, Kirche usw. markiert.
    Ein solches Verständnis von Glauben zieht sich durch die Kirchengeschichte der letzten 1700 Jahre hindurch. Es ist abgesichert
     durch zweierlei:
erstens
durch die Sammlung heiliger Schriften des Alten und des Neuen Testaments, in denen die Stimme Gottes durch den Mund auserwählter
     Menschen an die einzelnen Gemeinden in Vergangenheit und Gegenwart ergehen soll, und
zweitens
durch ein bestimmtes Geschichtsbild, das den Ursprüngen des christlichen Glaubens eine besondere Bedeutung beimisst. Wir können
     es kurz so wiedergeben: Jesus, der sündlose Gottessohn, offenbart seinen Aposteln die reine Lehre und stirbt für die Sünden
     der Welt. Er wird am dritten Tage von den Toten erweckt, befestigt seine Kirche, die ein Herz und eine Seele ist, und beauftragt
     die Apostel, die frohe Botschaft allen Menschen zu verkündigen. Der Teufel, der in der Folgezeit Ketzer in die Welt schickt,
     um die rechtgläubigen Christen zu bekämpfen, kann den Lauf des Evangeliums nicht aufhalten.
    |112| Beides, die Auffassung von der Bibel als Gotteswort und die Idee der Jungfräulichkeit der frühen Kirche, ist bis in das 17.
     Jahrhundert unhinterfragbarer Ausgangspunkt des christlichen Dogmas geblieben. Dies änderte sich erst, als die Revolution
     des naturwissenschaftlichen Weltbildes und das Aufkommen der historisch-kritischen Methode zu einem großen Dammbruch führten.
     Die historisch-kritische Methode beraubte die Bibel ihrer Göttlichkeit und das Urchristentum seiner Unschuld. Ja, sie führte
     zu einer völlig neuen Sicht auch derjenigen Welt, in der das frühe Christentum entstanden war. Alles geriet durcheinander:
     Die Verfasserangaben der meisten biblischen Schriften wurden widerlegt; man erkannte, dass die Bibel eine Schriftensammlung
     der
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