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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus
Autoren: Gerd Luedemann
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siegreichen christlichen Partei im 2. Jahrhundert war; und das Bild der Urkirche als einer Jungfrau erwies sich als frommer
     Wunsch einer christlichen Gruppierung, die ihre eigene Sicht über wahre und falsche Lehre in die früheste Zeit zurückverlegte.
    Die historisch-kritische Schriftforschung beschwor somit eine Krise herauf, die bis heute den Bibelausleger begleitet. War
     für den Reformator Martin Luther der Wortsinn der Schriften noch gleich mit ihrem historischen Gehalt, so rückte infolge der
     historisch-kritischen Methode beides auseinander: Das Bild der verschiedenen neutestamentlichen Verfasser von Jesus konnte
     fortan nicht mehr als identisch mit dem tatsächlichen Hergang der Ereignisse gelten. Für den historischen Kritiker ist der
     geschichtliche Abstand jeder heute möglichen Theologie vom urchristlichen Zeitalter unübersehbar und zur Quelle des bis heute
     tobenden theologischen Kampfes geworden. Anders gesagt: Die Kluft zwischen historischem Faktum und seiner Bedeutung, zwischen
     Historie und Verkündigung, zwischen Geschichte Jesu und dem widersprüchlichen Bild von seiner Geschichte im Neuen Testament
     macht es unmöglich, die Bibel als Anrede an moderne Menschen anzusehen. Zudem ist der moderne Historiker der Bibel mit Recht
     davon überzeugt, dass er viele Dinge besser weiß als die Verfasser der von ihm untersuchten Quellen. Das gilt nicht nur für
     alle das antike Weltbild betreffenden Fragen, |113| sondern erstreckt sich auf zahlreiche den harten Glaubenskern treffende Punkte. Z. B. wurde Maria mit Sicherheit von einem
     Mann geschwängert. Denn die jungfräuliche Geburt ist dadurch als Deutung erkannt, dass nicht wenige große Männer der Antike,
     wie etwa Kaiser Augustus oder Alexander der Grosse, auch von einer Jungfrau geboren sein sollen. Außerdem kennen die ältesten
     Quellen des frühen Christentums, die Paulusbriefe und das Markusevangelium, die Jungfrauengeburt gar nicht.
    Den geschichtlichen Gegebenheiten, unter denen sich die Wende zur Neuzeit vollzog, entspricht es, dass insbesondere Theologie
     und Kirche das Erwachen des historischen Bewusstseins traf. Alsbald wurde der Kampf im Bereich der Schriftauslegung am heftigsten
     geführt. Die römisch-katholische Kirche schottete sich von dem Strudel der historischen Erforschung der Bibel von Anfang an
     ab: Der Papst stellte in zahlreichen Verlautbarungen amtlich in Abrede, dass es irgendeinen Widerspruch zwischen dem christlichen
     Glauben und der Geschichte geben könne. Abweichler hatten hier keine Möglichkeit, Gehör zu finden oder gar Einfluss auszuüben.
     So war die historische Erforschung der Bibel bis zum Anfang unseres Jahrhunderts hinein allein im evangelischen Bereich möglich.
     Doch wurde sie auch hier regelmäßig Zielscheibe der dogmatischen Kritik, bis sie endlich wieder in der Gestalt einer am Bekenntnis
     gebundenen »theologischen Wissenschaft« ein Zuhause im Raum der Kirche fand und sich dem Glauben unterordnete.
    Man sollte meinen, dass Kirche und Theologie angesichts der Springflut des säkularen historischen Bewusstsein längst aus der
     modernen Gesellschaft verschwunden oder zu Randgruppen geworden wären. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ironie der Geschichte
     wollte es, dass beide Kirchen und die ihnen zugeordnete akademisch-kirchliche Theologie äußerlich unbeschädigt aus der Infragestellung
     durch die historische Kritik hervorgingen. Sie haben in Deutschland einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Staat und
     Gesellschaft und sind finanziell besser ausgestattet als je zuvor. Dies, obgleich sowohl unter Geistlichen als auch |114| unter Kirchenmitgliedern eine schleichende Abkehr von traditionellen Inhalten des christlichen Glaubens zu beobachten ist.
    Wie steht es aber wirklich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen im Lichte des allgemein anerkannten Tatsachenwissens
     zum frühen Christentum und zur Bibel? Wir erinnern uns: Der Glaube an die Jungfrauengeburt musste sich dem Wissen stellen,
     dass sie eine spätere Interpretation und kein historisches Faktum ist. Hinzu kommen weitere historische Ergebnisse, die den
     Glauben zu relativieren scheinen: Die meisten der für Jesus bezeugten Worte und Taten, wie sie in den Evangelien des Neuen
     Testaments beschrieben werden, gehen erst auf spätere Interpreten der Person Jesu zurück.
    Erstens
geschah dies im Rahmen der Auseinandersetzungen innerhalb der frühchristlichen Gemeinde. Man borgte sich die Autorität Jesu,
     um
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