Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
sterben sah. Er hatte Hühner, Schweine, Ziegen, Fische, Haie, Vögel und Schildkröten getötet, er war aufgewachsen mit der Notwendigkeit, um sein Leben zu kämpfen, aber jetzt lag da ein Mensch, blutete aus vielen Wunden, und seine Augen waren wie die eines Tieres, bevor für immer der Glanz in ihnen erlosch.
    Das erschütterte Paul am meisten: diese Gemeinsamkeit des Todes.
    »Du mußt ihn retten, Vater«, sagte er leise. »Ich … ich habe ihm die Beine weggeschossen …«
    Bäcker beugte sich über den Eingeborenen. Er sah sofort, daß die Wunde in der Brust, die er sich selbst mit dem Speer beigebracht hatte, nicht mehr zu verbinden war. Auch wenn man das Blut zum Stillstand brachte, würde er nach innen verbluten. Er hatte auf sein Herz gezielt und es nur um Millimeter verfehlt.
    »Es geht nicht mehr, mein Junge«, sagte Bäcker ernst. »Er war zu gründlich.«
    »Aber er ist bei vollem Bewußtsein, Vater. Du mußt irgend etwas tun!«
    Bäcker blickte hinüber zu Anne. Sie nickte ihm unmerklich zu. Er antwortete mit einem Wimpernzucken, holte aus der Hausapotheke, die er im Laufe der Jahre mit allem ausgestattet hatte, was auf einer einsamen Insel gebraucht werden konnte, eine Packung blutstillende Claudenwatte und drückte sie auf die offene Brust.
    »Er wird bald nicht mehr bluten, mein Junge«, sagte Bäcker. Es war doppelsinnig, aber Paul verstand nur, daß der Verletzte eine Chance hatte, zu überleben.
    »Er will etwas sagen, Vater«, rief Paul plötzlich, während Bäcker kaltes, gefiltertes Wasser holte und begann, die Schrotwunden an den Beinen auszuwaschen. Der Eingeborene hob mühsam den Kopf und starrte Bäcker ungläubig an. Der Feind half ihm … das war so unbegreiflich wie die Erzählung des Medizinmannes, daß seit zwanzig Jahren ein weißer Mann und eine weiße Frau auf der Toteninsel lebten und die Götter sie noch nicht bestraft hatten.
    Bäcker beugte sich über den Sterbenden. Er lag lang ausgestreckt auf dem Tisch und flüsterte etwas in einem Papua-Dialekt, den weder Anne noch Paul verstanden. Auch Bäcker hatte Mühe, es zu übersetzen … er suchte aus den ihm bekannten Wörtern den Sinn zusammen und richtete sich dann auf, als der Eingeborene nach einem Seufzer schwieg.
    »Eine wirre, aber gefährliche Geschichte«, sagte er. »Sie haben zwanzig Jahre gewartet, daß uns die Götter bestrafen. Wie ein Märchen haben die Alten unser Leben auf Viktoria-Eiland an die Jungen weitergegeben, bis ihnen jetzt klar wurde, daß die Götter von ihnen verlangen, uns von der Insel zu vertreiben. Vor einer Woche kamen alle Medizinmänner der umliegenden Inseln auf dem Atoll Bola-Bola zusammen und beschlossen, mit allen Kriegern und allen Kriegskanus den Willen der Götter auszuführen. Sie haben vier Tage und Nächte vor den Totems getanzt und Ziegen geopfert und sind dann aufgebrochen, um uns zu vernichten. Wir leben auf ihrem heiligen Boden.«
    Bäcker beugte sich über den Eingeborenen. Ein Zucken lief über das fahlbraune Gesicht – es ging dem Ende zu.
    »Sie wollen von jetzt ab immer angreifen«, sagte Bäcker heiser. »Immer. Bis wir die Insel verlassen haben. Es ist ein Auftrag der Götter, sagen die Medizinmänner.«
    »Dann laß uns weggehen, Liebling, morgen schon«, sagte Anne.
    »Und die zwanzig Jahre, die hinter uns liegen?«
    »Ich will noch weitere zwanzig Jahre leben.«
    »Wir haben mit den Toten leben können, Anne, warum können es die Toten nicht mit uns? Das hier ist meine Insel, ich bin auf ihr neu geboren worden, und ich habe sie mit Vicky, Holger, Peter und Marion bezahlt …«
    »Aber jetzt hast du uns«, sagte sie leise. »Anne und Paul … Sollen wir auch noch für dieses Paradies zahlen? Für diese Hölle von einem Paradies?!«
    »Anne!« Er starrte sie betroffen an. »Ich habe immer geglaubt, du liebst diese Insel …«
    »Weil du hier bist, weil Paul hier geboren wurde …« Sie warf den Kopf zurück. Es hatte sich in den zwanzig Jahren nichts geändert … es war der gleiche schmale Kopf mit den langen, bis zu den Hüften reichenden Haaren, es waren die gleichen großen, braunen Augen, die sich blitzartig verändern konnten, von sanfter Zärtlichkeit zu sprühender, fast wilder Energie.
    »Ich war hier glücklich, weil du glücklich warst … aber seit der Stunde, als ich damals im Sand erwachte und Shirley neben mir lag, habe ich diese Insel verflucht. Ja, ich weiß, was du sagen willst: Ich bin freiwillig wieder mit dir auf Viktoria-Eiland zurückgekehrt. Wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher