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Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn

Titel: Wer stirbt Palmen ... 2: Der Sohn
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf die Tafel. Der Diener putzte den letzten Satz weg. Erledigt. Gelöscht. Es gab keine Diskussionen. Bäcker legte seine Hand wieder auf die kalten Finger des Gelähmten.
    »Ich besuche Sie noch einmal«, sagte er tief atmend. Er nahm Rainu bei der Hand und ging hinaus, ohne sich umzusehen. Der weißgekleidete Diener mit dem Dolch begleitete ihn. In der weiten Eingangshalle verbeugte er sich höflich.
    »Herr, Sie werden bei den Booten erwartet. Tolohu wird Sie führen.«
    Bevor Bäcker noch etwas fragen konnte, war der Diener weggehuscht. Lautlos, ein weißer Schatten.
    »Komm«, sagte Bäcker zu Rainu, »es dauert nicht mehr lange. In einer Woche sind wir wieder daheim.«
    Sie blieb stehen. In Hiva Oa hatte sie ein Kleid gekauft, sehr eng, bodenlang, an den Seiten bis zu den Hüften geschlitzt, hochgeschlossen, mit einem runden chinesischen Kragen. Sie sah aus wie aus einem Gemälde gestiegen.
    »In einer Woche kann man siebenmal sterben, Paulo«, sagte sie.
    »Oder siebenmal geboren werden. Hast du noch immer Angst?«
    »Ja«, sagte sie leise. »Aber ist das wichtig? Du bist der Herr. Warum bleibst du nicht hier? Ich bleibe doch bei dir …«
    Bäcker schwieg. Der furchtbare Zwiespalt brach wieder in ihm auf: dort die Insel, sein stilles Paradies – hier das moderne pulsierende Leben und der Reichtum von 2,5 Millionen Francs. Es war eine Entscheidung, die er noch vor sich herschob, der er eines Tages aber nicht mehr ausweichen konnte.
    Sie gingen durch Tahuata, Hand in Hand, und Bäcker sah sich öfter um, unsicher geworden, im stillen hoffend, daß Tara Makarou nach Papeete gezogen war und ihnen jetzt nicht begegnete. Der Weg zu der Lagune mit der Bootsstadt der Eingeborenen führte an Taras Straße vorbei – es gab keinen anderen Weg.
    Bäcker faßte Rainus Hand fester, warf den Kopf in den Nacken und bog in die Straße ein. Es war ihm, als habe er sie erst gestern verlassen. Nichts hatte sich geändert, die Kinder spielten im Staub, die Fassadenanstriche blätterten ab. Es stank nach Gewürzen und trocknendem Fisch, Urin und faulendem Abfall.
    Und dann sah er sie: Sie stand wie damals, gegen die Hauswand gelehnt, gleich neben der grünlackierten Tür. Sie trug noch immer das aufreizende rote, geschlitzte Kleid mit dem tiefen Ausschnitt, der die obere Hälfte ihrer prallen Brüste freigab. Das glänzende schwarze Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden, die Lippen waren grellrot geschminkt, die Augenlider mit grünschillerndem Make-up beschmiert … sie stand da, das rechte Bein vorgestreckt, zwischen den Fingern eine Zigarette, eine geballte Ladung Leidenschaft, die man für 20 Francs kaufen konnte wie einen Korb Äpfel oder einen Fisch.
    Tara Makarou.
    Paul Bäcker holte tief Luft. Hindurch, dachte er. Was auch passiert, mein Junge – hatte sein Vater gesagt –, der Kopf hat zwei Funktionen: eine fürs Denken, die andere fürs Rammen. Jetzt war der Augenblick des Rammens!
    Er ging durch die Straße, und die Erinnerung an die Nächte mit Tara überfiel ihn. Aber es war eine leidenschaftslose Erinnerung. Tara hatte ihn die Liebe gelehrt, sie hatte ihn zum Mann gemacht, und er hatte damals geglaubt, daß dies die wirkliche Liebe sei, mit der man leben und an der man zugrunde gehen könnte. Jetzt wußte er es anders. Es gab Rainu … das war eine Liebe, die man nicht beschreiben konnte. Für Tara gab es Worte, für Rainu nicht …
    Als er zwei Meter von Tara Makarou entfernt war, hielt er den Atem an. Jetzt wandte sie den Kopf zu ihm, jetzt würde sie ihn erkennen … aber der Blick ihrer großen Augen ging durch ihn hindurch, an ihm vorbei. Ihr aufglimmendes Lächeln galt nicht ihm, sondern einem Matrosen, der hinter Bäcker in die Straße bog und laut vor sich hin pfiff.
    Dann stand Bäcker vor ihr, der nächste Schritt führte ihn schon wieder von ihr weg. Es war, als überschreite er eine wichtige Schwelle seines Lebens. Tara beachtete ihn gar nicht … sie stieß sich von der Wand ab, und er hörte in seinem Rücken, wie ihre dunkle samtweiche Stimme fragte:
    »Wie kann ein Mann wie du an mir vorbeigehen …?«
    Die gleichen Worte wie damals – sie waren 20 oder jetzt vielleicht 50 Francs wert. Es hatte sich nichts geändert: Sie war eine Hure geblieben, arm, noch immer auf Papeete hoffend, auf das große Geld.
    Bäcker senkte den Kopf, legte den Arm um Rainus Schulter und ging schnell weiter.
    Hinter ihnen blieb der Matrose stehen und winkte mit einem Geldschein. Tara nickte und stieß die
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