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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nu?«
    Mit spitzen Fingern, ganz vorsichtig, versuchte Bergsen das Blatt aufzufalten. Er schob sogar einen weißen Bogen unter, um die Papierstückchen, falls der Brief auseinanderbrechen sollte, aufzusammeln.
    Es dauerte über eine Minute, bis das vierfach geknickte Papier ohne Beschädigung aufgeschlagen war. Lüders beugte sich vor. Er atmete heftig.
    »Blas nich wie'n Walroß!« sagte Bergsen laut. »Wenn du das blödsinnige Papier an de Wand pustest, war alles umsonst.«
    Es war tatsächlich ein Brief. Von der Sonne ausgedörrt, mit Bleistift geschrieben. Buchstaben wie bleiche kleine Gerippe.
    »Na also –«, sagte Lüders leise. Seine Stimme war unsicher. »Aber immer müßt ihr lachen …«
    »So was kann man fälschen.« Bergsen drehte die Tischlampe an ihrem Schwenkarm direkt über den Brief. »Da gibt es ganz andere Sachen, Lars. Madonnen, die man in feuchte Erde eingräbt und nachher die Holzwurmlöcher mit Schrot reinschießt und sie als Funde aus dem 17. Jahrhundert verkauft … Da ist so'n Brief 'ne Kleinigkeit. Außerdem ist er deutsch geschrieben. Sehr verdächtig, Lars. Nenn mir mal 'ne deutsche Flaschenpost! Alle echten historischen Flaschenposten stammen von den Engländern, Spaniern oder Portugiesen. Und sind mit Lack verschlossen. Mit Teerkorken. Aber deutsch? Nie!«
    »Lies vor!« sagte Lüders. »Mensch, Korl, quatsch nicht soviel …«
    Es machte Mühe, die kleinen grauen Skelette zu entziffern. Bergsen las so, wie er die Worte zusammensetzen mußte, langsam, stockend. Von Wort zu Wort wurde seine Kehle trockener.
    »29. April 1965. Ich, Werner Bäcker aus Lübeck, bin an eine kleine Insel im Pazifischen Ozean angeschwemmt. Meine Motorjacht hat ein Sturm zerschlagen, sie ist gesunken. Meine Frau und meine drei Kinder sind ertrunken. Nur ich allein lebe noch. Ich danke Gott dafür. Aber helft mir, helft! Helft sofort! Das Trinkwasser geht zu Ende, die wenigen Lebensmittel reichen nur noch ein paar Tage. Irgend jemand soll mich abholen. Mein Bein ist gebrochen, ich kann nicht ins Innere der Insel. Ich bin hilflos. Rettet mich! Die Insel liegt, glaube ich, Länge 140 Grad West, Breite 12 Grad Süd.
    Hilfe, Hilfe! Rettet mich!«
    Bergsen legte ein sauberes Blatt Papier über den vergilbten Brief. Er schluckte ein paarmal, griff zur Teetasse, nahm einen tiefen Schluck, sah Lüders an und zwang sich, die durch nichts zu erschütternde Haltung eines Polizisten zu bewahren.
    »Blödsinn!« sagte Bergsen rauh. »1965. Vor sechs Jahren! Wo ist das überhaupt: 140 Grad West, 12 Grad Süd?«
    Er stand auf, holte aus dem Wandschrank einen Schulatlas (er gehört nicht zur Standardausrüstung der deutschen Polizei), schlug die Weltkarte auf, suchte die Gradeinteilung der Erde ab und grinste dann breit. Lüders ahnte Schreckliches.
    »Wo?« fragte er.
    »Südsee! Mitten drin!« Bergsen schlug den Atlas mit einem Knall zu. »Frag mal Enno, wer die Flasche in die See geworfen hat …«
    Lüders starrte das weiße Blatt an, unter dem der morsche Brief lag. Das unerklärliche Gefühl, das ihn den ganzen Tag über begleitet hatte, stieg wieder in ihm hoch. Er stützte sich auf den Tisch, drückte die rechte Hand dabei in einen Glassplitter und spürte es gar nicht vor Aufregung.
    »Gib ihn weiter –«, sagte er leise. »Korl, bei Gott … gib's weiter.«
    »Und wenn Enno wirklich dahintersteckt? Die Insel wackelt ja vor Vergnügen, wenn das rauskommt. Überleg doch mal, Lars: Von der Südsee bis Norderney … das läuft doch gar nicht. Das ist ja fast rund um die Erde, Mann. Soviel Strömung gibt's doch gar nicht.«
    »Gib mir'n Schluck, Korl.« Lüders griff zu Bergsens Teetasse, trank sie leer, schob vorsichtig das weiße Blatt zur Seite und starrte auf das vergilbte Papier. Es war, als röche man aus ihm die Sonne der Jahre und das Verdorren eines Menschen.
    »Schick es weg –«, sagte Lüders noch einmal. »Ich bitte dich, schick es weg. Und wenn sie mich auslachen und für den größten Idioten von Norderney halten –«
    Ein junger Wasserpolizist, der sich an die Stirn tippte, als Bergsen ihm den Auftrag erteilte, brachte das morsche Stück Papier mit dem ersten Schiff am nächsten Tag von der Insel zum Kommissariat nach Norden.
    Auch dort las man Karl Bergsens Bericht mit mildem Lächeln und echter Skepsis, betrachtete die Flaschenpost unter einer Lupe und war sich einig, daß hier eine riesige Seifenblase ins Behördengetriebe gerutscht war.
    »So etwas gibt es nicht!« sagte Kommissar Fleischmann nach
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