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Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater

Titel: Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nie gesehen! Ich will wie die drei heiligen Affen leben: nichts hören, nichts sehen, nichts sprechen, Himmel, muß das schön sein!«
    Jens Freese stimmte dem zu und verlangte die Miete für zwei Wochen im voraus. Wer nichts hören, sehen und sprechen will, kann eines Tages selbst nicht mehr da sein … Hellersen bezahlte, und Freese versicherte, er habe ab sofort den Namen Hellersen nie gehört. Nur der Kurverwaltung müsse er ihn melden.
    Eine Woche lang hielt Hellersen dieses Eremitenleben aus. Konsequent sonderte er sich von allen anderen Menschen ab, wanderte jeden Morgen in aller Frühe zur Weißen Düne und noch ein Stück weiter, hinter den Leuchtturm, wo die Insel so einsam wurde, daß sich ein einzelner Mensch in dieser hügeligen Landschaft verlor. Hier konnte man in den Sandschluchten und im harten Gras nackt unter der Sonne liegen. Das Rauschen des Meeres schläferte ein, und das schrille Schreien der Möwen vermischte sich damit in solch grandioser Vollkommenheit, daß Hellersen dachte: Es wäre gut, wenn die Zeit jetzt stehenbliebe. Ein Mann braucht diese laute Ruhe der Natur. Sie ist der Strom, der den Akku in uns auflädt.
    Ab und zu spielte er sein Fitneß-Programm durch, rannte die Dünen hinauf und hinunter, turnte nackt bestimmte Übungen, die die Muskeln lockerten und alle Sehnen in Bewegung brachten, schwamm viel im offenen Meer, warf sich in die Brandung und ließ sich vom Wasser peitschen. Dann sammelte er Treibholz, das jede Nacht angeschwemmt wurde, baute sich daraus zwischen den weißsandigen Dünen eine kleine Hütte. Aber als sie fertig war, erinnerte sie ihn fatal an einen Bambusunterstand in Vietnam. Vor sieben Monaten hatte er mit einer Gruppe GIs im Dschungel gelegen und hatte es nur einem unverschämten Glück zu verdanken, dem letzten Vietkong-Angriff entkommen zu sein. Er saß hoch oben in einer dichten Baumkrone und fotografierte die Gegend, als unter ihm die GIs innerhalb von zehn Minuten getötet wurden. Wie ein Spuk brachen die Vietkong aus den Büschen, und wie ein Spuk verschwanden sie wieder. Als Hellersen in der Nacht erst aus seinem Baum kletterte, fand er seine Bambushütte unversehrt vor – aber an die Wände hatte man mit zugespitzten Bambusstangen vier amerikanische Soldaten aufgespießt.
    Die Erinnerung daran verdarb Hellersen den Spaß an seiner Treibholzhütte – er riß sie sofort wieder ein.
    Nach einer Woche absoluter Ruhe wurde Hellersen unruhig. Es erging ihm so wie vielen Menschen, die vor sich flüchten und sich doch immer wieder einholen, weil ihr Schatten mitläuft. Am achten Tag zog Hellersen seine Badehose an, schlang das Badetuch um seine Schultern und wanderte am Meer entlang zum Oststrand. Hier traf er – neun Tage nach Auffinden der Flaschenpost – auf den Strandwärter Lars Lüders.
    Es war wieder einer der frühen Morgen, an denen Lüders mit seiner Eisenkarre den Strand abging und reinigte. Mit einem Seitenblick, ohne seine Kehrarbeit zu unterbrechen, musterte er Hellersen und saugte an seiner Pfeife. Um fünf Uhr früh ein zweiter Mensch am Meer – und dazu noch ein Kurgast –, das konnte nur bedeuten, daß man seinen Alkoholkopf ausdunsten wollte. Meistens waren diese Übriggebliebenen wortkarg und knurrig.
    »Schöner Tag, nöch?« sagte Lüders und blieb stehen. »Mann bannig heiß schon so früh. Gibt'n sonnigen Tag, nöch?«
    Hellersen nickte unlustig. Die Unruhe in ihm wuchs. Das völlige Abschalten ist doch nicht das richtige, dachte er. Es kribbelt einem bis in die Fingerspitzen und Haarwurzeln. Ich muß etwas tun, irgend etwas Produktives, nicht bloß Turnen und Hütten bauen, die an Vietnam erinnern und wieder eingerissen werden müssen. Man kommt nicht von sich selbst los; es ist wie bei der Hydra, wo man ein Stück abhackt, wachsen zwei neue Stücke nach.
    »Hallo –«, sagte er. Er musterte den bärtigen Mann und dachte sofort an das Heimatmuseum. Eine gute Type, dachte er. Als ob man einer dieser Museumsfiguren Leben eingehaucht hätte, und nun läuft sie hier herum, sammelt Papier und Limoflaschen auf und bekommt als Fremdenverkehrsattraktion die Stunde 5,50 DM, Frühstück eingeschlossen.
    Hellersen blieb stehen, drehte sich um und kam zu Lüders zurück. Auch Lüders blieb stehen und lehnte sich an seinen Eisenkarren.
    »Hallo –«, sagte auch er.
    Das wäre eine Abwechslung, dachte Hellersen. Ein Interview mit einem alten Seemann. Das ist nichts Neues und wirft keinen Zwerg um, aber mit einigen verrückten Erlebnissen
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