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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War
Autoren: Christa Bernuth
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und als er die Befragungen im Haus übernahm, hat er seinen Namen einfach außen vorgelassen.
    Klaus rast mit Blaulicht durch die Stadt, benachrichtigt dabei den Notdienst und weiß, dass er zu spät kommen wird. Als er
     eintrifft, liegt Alexander Czettritz bereits in dem begrünten Innenhof, direkt neben dem Fahrradständer, auf dem Gesicht,
     Arme und Beine ausgebreitet, als hätte er nicht einmal instinktiv versucht, seinen Sturz abzufedern. Leichter Nieselregen
     fällt auf seinen reglosen Körper, der seltsam flach aussieht, als seien sämtliche Knochen gebrochen, was vermutlich auch der
     Fall ist. Menschen würden sich nicht aus Fenstern stürzen, wenn sie wüssten, wie sie danach aussehen, davon war Klaus überzeugt.
     Zwei Sanitäter knien vor der Leiche, der Notarzt kommt dazu und stellt ordnungsgemäß den Tod fest. Klaus telefoniert mit der
     Spurensicherung, denn auch dieser Tod muss untersucht werden, auch wenn das Ergebnis klar ist.
    Zum Schluss ruft er Pilar an.
    Sie geht nicht ans Telefon.

PILAR
    Meine liebste Mama,
    du, die Andalusierin, hattest dich in einen Perser verliebt, bist mit ihm Hals über Kopf, zum Entsetzen deiner stolzen spanischen
     Familie, in seine Heimat gezogen, in ein Land, dessen Sommer noch heißer und dessen Winter weitaus strenger waren als in der
     Heimat. Ich weiß, dass du dich nie in Teheran zu Hause gefühlt hast, aber dass du auch nicht nach Malaga zurückkonntest, weil
     man das damals einfach nicht tat. Man gab keinen Irrtum zu, man ertrug, wozu man sich verpflichtet hatte.
    Und nun bin ich hier, Tochter und Erbin deiner dunklen Geheimnisse, ebenfalls weit weg von jeder möglichen Heimat, aber zuversichtlicher
     als je zuvor, denn ich habe entschieden. Philipp und ich haben unsere Koffer gepackt. Philipp ist von der Schule abgemeldet,
     und ich habe mich von meiner sicheren Beamtenexistenz verabschiedet, obwohl ich weiß, dass du das nicht gut finden würdest.
     Sicherheit war dir immer so wichtig, weil dein eigenes Leben eine chaotische Abfolge von trügerischen Friedensphasen und entsetzlichen
     Umbruchzeiten war, die immer wieder alles über den Haufen warfen, was du dir und uns aufgebaut hattest. Trotzdem bitte ich
     dich: Mach dir keine Sorgen, vielleicht wird Katar ja nur ein langer Urlaub und nicht ein Teil unserer Zukunft, aber eins
     weiß ich sicher: Wir begeben uns auf eine lange Reise, und danach wird nichts mehr sein, wie es war.
    Das ist gut so. Wirklich. Unsere Familie ist in alle Weltzerstreut, und das heißt doch nichts anderes, als dass ein Zuhause überall sein kann. Also denk nicht weiter daran, glaub
     mir einfach, dass ich dich liebe, Mama, für immer und ewig, aber Tatsache ist, ich werde dein Grab nicht mehr besuchen können,
     weil ich jetzt fortmuss, in mein neues Leben.
    Bevor der Polizist ein zweites Mal erscheint und seine Fragen unangenehmer werden.

MANUEL
    Er hat eingekauft: frische Datteln, schweres, gesüßtes Brot, aromatische Oliven, Champagner, eine kühne Zusammenstellung.
     Aber das soll ja nur zum Aperitif gereicht werden, denn abends werden sie in einem wunderbaren Restaurant essen gehen, das
     er bereits mit ein paar seiner neuen Kollegen ausprobiert hat. Es liegt auf einer Terrasse im zehnten Stock eines Wolkenkratzers
     direkt am Meer.
    Sie wird in sechs Stunden landen.
    Er ruft seine Mutter an.
    Einfach so, weil er weiß, dass sie täglich an ihn denkt.
    Er nimmt sich vor, nicht mit ihr zu streiten und ihre Begriffsstutzigkeit einfach zu übersehen.
    Er hat sich überhaupt viel vorgenommen in den letzten Tagen.

MARTHA
    Als Harry gestorben war, durfte Martha ihn nicht gleich mit nach Hause nehmen. Man brachte ihn stattdessen nach Athen, wo
     er vorschriftsmäßig in der Gerichtsmedizin obduziert wurde, um die genaue Todesursache festzustellen, deren Ergebnis lautete,
     dass er tatsächlich ertrunken und Fremdverschulden ausgeschlossen war, ein kerngesunder Mann, den nur die Angst umgebracht
     hatte.
    Die Reisegesellschaft kümmerte sich um alles, eine Touristikmanagerin setzte Martha ins Taxi zum Flughafen.
    Der Taxifahrer sprach gut deutsch, und ehe sich Martha versah, hatte sie ihm die ganze Geschichte erzählt. Etwas Ähnliches
     passierte ihr auf dem Flughafen mit zwei deutschen Backpackern, die sich so rührend um sie kümmerten, dass Martha beinahe
     getröstet ins Flugzeug stieg. Auch heute noch stellt sie fest, dass es sehr viel einfacher ist, mit Fremden über Tod und Trauer
     zu sprechen, als mit Angehörigen und
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