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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben
Autoren: Karl Rabeder
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hübsches Kind war, kann ich nicht sagen. Was ich aber sicher weiß, ist, dass meine Seele gestrahlt hat in solchen Momenten. Ich hatte immer das Gefühl: Die älteren Damen sind ganz verrückt nach mir, wobei »älter« nach meinem damaligen Verständnis schon mit etwa Mitte zwanzig begann.
    So half ich meinen Großeltern dabei, die Ware an den Mann und die Frau zu bringen, und zur Belohnung ging es zum Ende eines solchen Markttages in die Konditorei. Das war jedes Mal ein würdiger Abschluss unseres Ausflugs in die Stadt. Als ich mit Anfang
zwanzig meine ersten eigenen Geschäfte auf diesem Markt machte, musste ich oft an diesen kleinen Jungen zurückdenken, dessen Augen hell strahlten, wenn er eine Kundin fragte: »Dürfen’s vielleicht noch ein paar Tomaten sein?«
    An den Tag, an dem mein Großvater starb, kann ich mich noch deutlich erinnern. Es war ein Moment großer Panik und Traurigkeit. Wir waren zu Hause in Leonding, er lag in seinem Bett, und von einem Moment auf den nächsten hörte sein Herz auf zu schlagen. Er hatte schlicht jede Lust zum Weiterleben verloren, nachdem meine Großmutter ein Jahr zuvor gestorben war. Nach einem Schlaganfall hatte sie jahrelang mit einer einseitigen Körperlähmung zu kämpfen gehabt. Die hielt sie allerdings nicht davon ab, gestützt auf einen Stock weiterzuarbeiten. Zum Ende ihres Lebens konnte man den beiden ansehen, dass sie ihren Frieden miteinander gefunden hatten. Es kam deshalb nicht überraschend, dass mein Großvater nach ihrem Tod rapide abbaute. Unsere Versuche, ihn zu motivieren und ihm klarzumachen, dass wir ihn gern weiter unter uns hätten, konnten ihn nicht mehr erreichen. Von der Idee, sterben zu wollen, war er nicht mehr abzubringen.
    In den Wochen vor seinem Tod saß ich eines Abends an seinem Bett, der Moment, Bilanz zu ziehen, war gekommen. Und da sagte er zu mir diesen Satz, den ich nie vergessen werde: Manchmal hätte er sich einfach gewünscht, den Tag Tag sein zu lassen, und sich gern in die Sonne gesetzt. Es war die Erkenntnis eines
Mannes Mitte achtzig, der zum Ende seines Lebens einsehen musste, dass er in seinem Leben die Prioritäten manchmal nicht richtig gesetzt hatte bzw. sich die Prioritäten seiner Frau hatte aufzwingen lassen, die beileibe nicht die seinen waren. Diesen Satz behielt ich im Hinterkopf, er war selbst wie eine kleine Sonne, die kontinuierlich ihre Energie verströmte und dafür sorgte, dass ich auch in den Momenten größten Stresses nie vergaß, was das Leben eigentlich erst lebenswert macht: sich ab und zu in die Sonne zu setzen und den Tag Tag sein zu lassen.

Der Erbsenschäler
    S eit ich denken kann, bin ich ein Einzelgänger. Das war als Kind so, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Es war mir immer wichtiger, tun zu können, wonach mir der Sinn stand, als Teil einer Gruppe zu sein. Das bedeutet nicht, dass ich unbeliebt gewesen wäre. Ich habe eine beschauliche Kindheit in Leonding erlebt und hatte immer Freunde, mit denen ich durch die Natur gelaufen bin. Zwar nicht viele, dafür aber umso engere. Wir haben gemeinsam Staudämme errichtet, sind auf Bäume geklettert und haben Baumhäuser gebaut. Das Leben in dieser überschaubaren Welt war heil und unberührt – etwa 8000 Menschen wohnten verstreut über die gesamte Gemeinde. Mir gab sie das Gefühl, inmitten eines riesigen Spielplatzes aufzuwachsen.
    Dass ich mich nur ungern einer Gruppe anschloss, lag daran, dass ich die typische Kindheit eines Einzelkindes durchlebte. Für meine Mutter war ich der Mittelpunkt ihrer Welt. Sie zwang mich zu nichts, gemacht wurde stets, was sich der kleine Karl gerade in den Kopf gesetzt hatte. Sie traute mir schon früh eigene
Entscheidungen zu, die auch nie überstimmt wurden. Und weil der kleine Karl beispielsweise nicht in den Kindergarten wollte, blieb er eben daheim bei der Mutter und den Großeltern. »Karl«, wird sie gefragt haben, »magst in den Kindergarten?« – »Naa, net in den Kindergarten«, werde ich ihr wohl geantwortet haben. Damit war die Sache klar. Das hat meine Bereitschaft, mich in Gruppen zu integrieren, nicht gerade gefördert und mich zu einem scheuen und zurückhaltenden Kind werden lassen.
    Als ich drei oder vier Jahre alt war, passierte etwas, das mein Dasein als Einzelgänger zusätzlich verstärkte. Mein Geburtstag stand an, und meine Mutter dachte, dass es eine gute Idee sei, die anderen Kinder aus der Umgebung einzuladen. Wenn ich schon nicht in den Kindergarten ging, sollte ich
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