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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben
Autoren: Karl Rabeder
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verkaufe und damit ein kleines Vermögen verdiene.
    Also fuhren die Rabeders fortan ebenfalls fast jedes Sommer- und Herbstwochenende in den Wald, ausgerüstet mit einem Riesenkarton im Rucksack – und kamen oft mit über 50 Kilogramm Pilzen zurück. Weil die damals relativ teuer waren, nahmen wir an einem Wochenende mit dem, was der Waldboden hergegeben hatte, mehr ein als mit der regulären Arbeit einer ganzen Woche. Meine Großeltern haben sich alles, was sie in ihrem Leben erreicht haben, wirklich mit den eigenen Händen erarbeitet.

    Die Konstellation, in die ich hineinwuchs, war somit eine, in der jedem der drei eine bestimmte Rolle in meinem Leben zukam. Meine Mutter war meine weibliche Bezugsperson, die ihr Glück davon abhängig machte, dass es mir gutging, und die mir eine Selbstlosigkeit vorlebte, die mir noch einige Probleme bereiten sollte. Mein Großvater war die männliche Bezugsperson, von der ich lernte, dass man auch in Momenten großer Entbehrungen oder Anstrengungen seinen Humor und seine Lebensfreude nicht verlieren darf. Einen besseren, warmherzigeren »Vater« als ihn hätte ich mir nicht wünschen können. Und meine Großmutter war diejenige, die mir den unbedingten Willen zur Arbeit vorlebte und zu der ich zeit ihres Lebens auf Distanz blieb, aus einer Mischung aus Angst und Respekt. Im Grunde ihrer Seele war auch sie ein guter Mensch, doch wegen des vielen Leides, das sie in ihrem Leben hatte ertragen müssen, konnte sie ihr wahres Gesicht nie zeigen, sie war eher verbittert als entspannt.
    Ihre Strebsamkeit setzte sich tief in mir fest. Ihrem Vorbild entsprechend habe auch ich lange Zeit mit der Überzeugung gelebt: Der Mensch ist, was er leistet. Wer nichts verdient, »dient« auch nicht. Er hatte für mich keinen Wert. Denn der bemaß sich nach meinem Verständnis allein danach, was sich jemand von seinem Geld leisten konnte. Ich hatte ein streng an materialistischen Kriterien ausgerichtetes Menschenbild verinnerlicht. Es ließ vollkommen außer Acht, dass es neben der materiellen auch noch eine andere Welt gibt.

    Doch ich musste es erst selbst leidvoll am eigenen Leib spüren: Wer immerzu darüber nachdenkt, wie er Geld verdienen kann, verliert dabei irgendwann sein Leben aus den Augen. Das Geldkonto mag immer voller werden, doch das Glückskonto füllt sich nicht im gleichen Maße. Im Gegenteil: Es wird immer leerer. Es ist, wenn man so will, eine bloße Umverteilung der Ressourcen, bei der Lebenszeit in Geld umgewandelt wird. Doch das Fatale daran ist: Geld ist eine reproduzierbare Ressource, Zeit dagegen nicht. Was nützt einem ein Vermögen auf der Bank, ein eigenes Haus oder Statussymbole wie ein großes Auto, wenn man sich irgendwann eingestehen muss, dass man vor lauter Arbeit gar nicht mehr dazu kommt, sein Leben zu genießen?
    Ich habe zwar schon früh gespürt, dass das, was ich in unserem kleinen Haus in Leonding kennenlernte, nicht alles sein kann, dass es außerhalb dieser kleinen Welt mehr geben muss als Arbeit. Doch weil ich mit dem Bewusstsein aufwuchs, dass es immer etwas zu tun gibt, ganz unabhängig davon, wie viel man auch arbeitet, sollte es noch sehr lange dauern, bis ich mir diese Welt selbst erschließen konnte.
    Und es ist ja nicht so, dass mir diese Pilz- und Gemüsewelt nicht auch gefallen hätte. Bereits mit sechs Jahren durfte ich meine Großeltern an schulfreien Tagen und an den Wochenenden auf den Markt begleiten. Das war eine aufregende Sache für so einen kleinen Jungen. Die Gerüche der Gemüse- und Gewürzstände, die Hendlbraterei, die Blumen: Ich durfte mich
auf dem ganzen Marktplatz frei bewegen und kam mir vor, als würde ich durch die große weite Welt spazieren. Aus der Perspektive eines sechsjährigen Jungen hat sogar der Südbahnhofmarkt in Linz etwas Exotisches.
    Nur eines war eine Qual für mich: das frühe Aufstehen. Um sechs Uhr morgens mussten wir unseren Stand aufbauen, und ich weiß noch, wie ich an solchen Tagen mit verquollenen Augen um fünf Uhr die Treppe hinunterwatschelte und im Auto weiterschlief, begleitet vom rhythmischen Rumpeln unseres kleinen Transporters, der sich bis unters Dach vollgepackt mit Obst- und Gemüsekisten über die Leondinger Schotterpisten auf den Weg nach Linz machte.
    Mit dem ersten Kontakt zu einem Kunden war jede Müdigkeit allerdings verflogen. Vielmehr: zu Kundinnen. Es waren vor allem die Damen, die ganz verzaubert waren von mir, diesem blonden, blauäugigen Kerl und seinem Spitzbubencharme. Ob ich ein
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