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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben
Autoren: Karl Rabeder
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Oberösterreich. Das Häuschen, zwei Zimmer unten, zwei Zimmer oben, steht auf einem tausend Quadratmeter großen Grundstück, es gibt einen kleinen Anbau und Stallungen, Obstbäume und Gemüsebeete. Mitte der neunziger Jahre haben wir es verkauft, anschließend wurde es komplett renoviert. Nichts erinnert heute mehr daran, dass ich dort einst gemeinsam mit meiner
Mutter und ihren Eltern unter einem Dach gelebt habe. Dieses Haus war nicht nur unsere gemeinsame Heimat, sondern auch die Basis meines späteren unternehmerischen Erfolgs, wobei ich mit meiner langjährigen Definition von »Erfolg« aus heutiger Sicht so meine Schwierigkeiten habe.
    Einzig dem Organisationstalent und dem Fleiß meiner Großeltern ist es zu verdanken, dass es dieses Haus überhaupt gibt. Es ist gewissermaßen aus Tonnen von Gemüse und Pilzen erbaut, die sie dreimal in der Woche auf dem Markt vor dem Linzer Südbahnhof verkauften. Anfang der fünfziger Jahre hatten sie sich damit so viel Geld erwirtschaftet, dass sie auf das Grundstück, das bereits seit Mitte der dreißiger Jahre in ihrem Besitz war, ein Haus setzen konnten. Mit dem Einzug 1954 erfüllten sie sich ihren großen Lebenstraum: endlich ein eigenes Haus und dazu die Möglichkeit, eine kleine Landwirtschaft und eine Kleinstgärtnerei zu betreiben, mit Anbauflächen für Tomaten, Gurken und Erbsen sowie einem Schwein, einer Ziege und ein paar Hühnern. Die fand ich immer am spannendsten, weil ich sie jagen und fangen konnte. In Österreich wurden Leute wie meine Großeltern »Häuslleut« genannt. Etwas erreicht zu haben, darauf war vor allem meine Großmutter sehr stolz.
    Bis zu meiner Geburt lebten auch meine beiden Eltern in diesem Haus. Bald nachdem ich zur Welt gekommen war, stellte meine Mutter meinen Vater allerdings vor die Wahl: Kind oder Alkohol. Mein Vater war nach allem, was ich über ihn weiß, ein wundervoller,
sensibler Mann, aber leider auch ein Quartalssäufer, dem weder meine Mutter noch ihre Eltern ein Kind anvertrauen wollten. Der Alkohol war auch schuld daran, dass meine Eltern bereits Mitte dreißig waren, als sie mich bekamen. Sie hatten lange mit sich und ihrer Beziehung gerungen, sie kämpften sich durch viele Krisen und konnten sich erst spät zu einem gemeinsamen Kind entschließen. Als ich dann endlich da war, fasste sich mein Vater zwar ein Herz und beschloss mir zuliebe, das Trinken sein zu lassen. Er hielt es allerdings nicht lange durch. Kurz nach meiner Geburt wurde er deshalb des Hauses verwiesen. Als ich mich als erwachsener Mann auf die Suche nach ihm machte, weil ich wissen wollte, wer dieser Mann war, dessen Gene ich in mir trage, erfuhr ich von seiner zweiten Frau, dass er an einer Asbestvergiftung gestorben war. Meinen leiblichen Vater habe ich deshalb nie bewusst erlebt.
    Dass ich ohne echten Vater groß wurde, habe ich lange Zeit gar nicht registriert. Denn in den Familien meiner wenigen Freunde waren die Väter ohnehin kaum präsent: Sie gingen morgens aus dem Haus, wenn die Kinder noch schliefen, und kamen abends nach Hause, wenn die bereits im Bett waren, und am Wochenende starteten sie ihre Erziehungsversuche, die zum Scheitern verurteilt waren, weil die Kinder ihre Väter ja kaum kannten. So gesehen hatte ich es viel besser als die meisten meiner Altersgenossen: Ich hatte nicht nur eine Mutter als Bezugsperson, sondern auch zwei Großeltern. Vor allem mein Großvater wurde zu einer sehr
prägenden Figur für mich. Zu ihm spüre ich bis zum heutigen Tag eine sehr innige Verbindung, und das liegt nicht nur daran, dass er exakt so hieß wie ich.
    Karl Rabeder war ein Bär von Mann. Als Heranwachsender hatte er im Hafen von Linz mit seinen bloßen Händen Baumstämme verladen. Groß geworden war er auf einem Bauernhof mit etlichen Schwestern und Stiefschwestern, die gut arbeiten, aber auch gut feiern konnten. Die Rabeders waren eine sehr musikalische Familie. Nach getaner Arbeit setzten sie sich zusammen, auf den Tisch kam eine ordentliche Brotzeit, dann sangen sie Lieder und genossen das Leben. Mein Großvater war ein fröhlicher, zutiefst gütiger Mensch, der es allen recht machen wollte, besonders meiner Großmutter. Er hat mir vorgelebt, sich stets zum Wohle des Großen und Ganzen unterzuordnen und die eigenen Interessen hintanzustellen, selbst wenn man der Größere und Stärkere ist. Er tat dies immer aus einer Position der Stärke heraus, er war ein unerschütterlicher Mann. Müdigkeit oder Traurigkeit gab es bei ihm nie, er
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