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Wer nichts hat, kann alles geben

Wer nichts hat, kann alles geben

Titel: Wer nichts hat, kann alles geben
Autoren: Karl Rabeder
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Weihnachtskerzen überprüfen. Termine für Junioren-Segelflugtraining vereinbaren. Mitarbeiter für Sonderverkaufsaktion briefen.«
    Mein ganzes Leben war danach ausgerichtet, Geld zu verdienen. Nicht, weil ich das selbst so gewollt hätte, sondern weil es das war, was ich zu Hause gelernt hatte und was mir später zu einer Selbstverständlichkeit wurde, die ich nicht hinterfragt habe. Meine Großmutter lehrte mich: Der Wert jedes Menschen bemisst sich in unserer Gesellschaft allein daran, was er zu leisten imstande ist und an Geld erwirtschaften kann. Ganz simpel. Je mehr er verdient, umso größer ist sein Stellenwert. Jede weitere Null auf dem Gehaltsscheck führt zu einem Zuwachs an Bedeutung, Macht und Einfluss. So denken viele Menschen, und ich kann nur sagen: Tut mir leid, bis vor einigen Jahren war ich auch so einer.
    Ich war immer ein Mensch, den alles fasziniert hat, was möglich schien. Und ich habe versucht, alles Mögliche auch wirklich zu erreichen. Ich habe nicht Ruhe gegeben, bis das, was ich mir vorgenommen hatte, erreicht war, auch wenn ich damit andere vor den Kopf gestoßen und gar nicht gemerkt habe, wie ich sie mit meinem Ehrgeiz und meinen hohen Qualitätsansprüchen
gequält, manchmal sogar gedemütigt habe. Ich habe zwar immer gespürt, dass da etwas in mir zwickt, dass eine Kraft in mir gegen diese Art zu leben ankämpft, doch ich habe sie nie so stark werden lassen, dass sie mich behindert hätte. Denn ich habe mir immer gedacht: »Das machen doch alle so, was, bitte schön, soll daran falsch sein?«
    Es war meine Leidenschaft fürs Segelfliegen, die dazu führte, dass diese Kraft langsam stärker wurde. Als Jugendlicher war ich zum ersten Mal in einem Segelflugzeug gesessen, anfangs noch ängstlich und zaghaft, später immer selbstbewusster. Je sicherer ich am Steuer und beim Nutzen der Aufwinde wurde, umso mehr spürte ich, wie sehr ich mich beim Segelfliegen auf mein Gefühl verlassen konnte. Ich brauchte keine Messgeräte und keinen Computer, um zu entscheiden, ob ich über den nächsten Bergkamm käme. Keine Hilfsmittel, um die Aufwinde zu finden, die mich weit nach oben hoben. Das Einzige, was ich benötigte, war mein Gefühl, mein Gespür für die Natur und die Bereitschaft, diese Eindrücke auch wirklich wahrzunehmen. Irgendwann kam mir der Gedanke: Wenn ich meinen Geist im Pilotensitz eines Segelflugzeugs so weit zu öffnen vermag, dass ich jedes Detail um mich herum in mich aufnehmen kann, jeden Lufthauch und jede Wolke – wie ist es dann möglich, dass ich mich auf meinem Bürosessel so taub und stumpf fühle?
    Also machte ich mich auf die Suche nach der Antwort auf die Frage, was das ist, das so in mir zwickt. Heute kann ich sagen: Ich bin kein Schaf mehr, das
sich vom Schäfer und seinen Hunden durch die Gegend scheuchen lässt. Ich bin ein Adler, der außer Reichweite derer fliegt, die großes Interesse daran hätten, dass ich mich nach ihren Regeln verhielte. Diese Zeiten aber sind unwiderruflich vorbei.
    Bald nachdem der Schäfer mit seinen Hunden die Schafe von der Wiese getrieben hatte, trafen die neuen Besitzer ein: ein älteres Ehepaar aus Marseille, das es mit einem IT-Unternehmen zu stattlichem Reichtum gebracht hatte und nun seinerseits aus diesem Haus einen Alterssitz machen wollte. Ich erklärte den beiden die wenigen Dinge, die sie über ihr neues Zuhause wissen mussten, drückte ihnen die Schlüssel in die Hand und wünschte ihnen alles Gute. Als ich die Tür hinter mir zuzog, breitete sich in mir ein großes Gefühl der Erleichterung aus. Ich setzte mich ins Auto und machte mich auf den Weg zurück nach Tirol. Dort wartete eine letzte Aufgabe auf mich, die ich noch bewältigen musste. Ein letzter Schritt. Und dann würde mein neues Leben endlich beginnen können.

Das Haus
    W enn der Karl Rabeder, der ich einmal war, lesen könnte, was ich zu sagen habe, würde er vermutlich denken: »Was für ein Schmarrn!« Doch wenn ich andererseits heute noch das Leben führen müsste, das ich seit meiner Kindheit geführt habe, wäre ich ein todunglücklicher Mann. Seit ich denken kann, war mein Umfeld auf Leistung getrimmt, auf Disziplin und Arbeit. Diese Haltung hat sich zwangsläufig auch auf mich übertragen.
    Keimzelle dieses Lebens war ein kleines Haus in der Hochstraße 40 in Leonding, einem Ort, durch den sich während meiner Kindheit noch staubige Schotterwege zogen und der sich inzwischen zum Nobelvorort von Linz gemausert hat, der Landeshauptstadt von
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