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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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ich sie dabei ertappt, wie sie einem Komplizen die Zahlenkombination des Banksafes verrät, einen zugleich flehenden und vorwurfsvollen Blick. Geh und ruf deinen Vater zum Kaffeetrinken, sagt sie, er ist bestimmt bei den Hasen.
    Natürlich ist er bei den Hasen, wo denn sonst, doch als ich den Schuppen betrete, bleibe ich erstaunt stehen. Er hat sich in der Ecke, in der früher das Heu und das Körnerfutter für die Hasen gelagert waren, eine Art kleines Wohnzimmer eingerichtet, mit dem ausrangierten alten Sofa und dem Couchtisch, auf dem neben einem Aschenbecher und einer Schachtel Zigaretten eine Zeitung liegt, den Zementfußboden bedeckt unser alter Wohnzimmerteppich mit Persermuster, und an der Bretterwand mit dem kleinen Fenster steht die Stehlampe, die früher in Omis Zimmer gestanden hat, ich habe gar nicht gewusst, dass meine Eltern sie aufgehoben haben. Bizarr, denke ich, ein möblierter Hasenstall, es fehlen nur noch ein Kühlschrank und eine Kaffeemaschine.
    Mein Vater weicht meinem fragenden Blick aus, zuckt verlegen mit den Schultern und sagt, vielleicht um einer ironischen Bemerkung zuvorzukommen, ich habe angefangen, Rassehasen zu züchten. Er deutet auf einen Stall in Augenhöhe, in dem zwei Hasen sitzen, und sagt stolz, das ist mein erstes Paar, Helle Großsilber.
    Wieso Helle Großsilber, frage ich erstaunt, die zwei sind doch schwarz.
    Er lacht, sie werden schwarz geboren und bekommen erst nach sieben, acht Monaten eine bläulich-weiße Deckfarbe. Die beiden hier sind jetzt gerade mal drei Monate alt, aber ich habe ihre Eltern gesehen, wahre Prachtexemplare, die schon jede Menge Preise gewonnen haben, hoffentlich schaffen meine zwei das auch. Jedenfalls sind sie nicht zum Schlachten bestimmt.
    Ich habe mich eigentlich nie für seine Hasen interessiert, ich fand sie eher langweilig und dumm, und außerdem war es mir lästig, wenn ich die Ställe ausmisten und frisches Stroh einstreuen musste, doch jetzt betrachte ich die beiden Hasen genauer. Sie sind tatsächlich ziemlich hübsch, aber ansonsten wie die anderen Hasen auch, sie mümmeln am Heu und bewegen die Ohren.
    Ich bin verwirrt, er hat sich verändert, mein Vater, und ich frage mich, ob das erst in den Jahren passiert ist, seit ich in Frankfurt lebe und meine Eltern nur selten besucht habe, das kann doch nicht sein, habe ich so lange die Augen zugemacht? Ihm zuliebe, um ihm einen Gefallen zu tun, und auch, um meine Verlegenheit zu überspielen, frage ich, ob die beiden Geschwister sind.
    Er schüttelt den Kopf, nein, aber sie sind beide vom selben Züchter, und ein bisschen unsicher fügt er hinzu, ich habe sie Romeo und Julia genannt.
    Romeo und Julia. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll, da wird er im Alter noch romantisch, denke ich und kann mir gut vorstellen, was Marie alles einfallen würde. Wir haben uns immer über seine Hasen mokiert, sie waren uns peinlich, wer züchtete schon Hasen im Schuppen hinter dem Haus, die Väter unserer Mitschüler spielten Golf oder wenigstens Tennis. Ich hätte in der Schule nie erzählt, mein Vater züchtet Hasen, da hätte ich mich geniert. Wenn es Pferde oder Hunde gewesen wären, dann ja, aber Hasen? Komm, sage ich und greife nach seiner Hand, komm jetzt, der Kuchen steht schon auf dem Tisch.
    Das Kaffeetrinken verläuft friedlich, meine Eltern erkundigen sich nach dem Studium, und Ricki erzählt, wie sehr sie sich darauf freut, im nächsten Jahr in einer Klinik anzufangen und nach dem vielen Lernen endlich auch die Praxis kennenzulernen, gibt aber zu, auch ein bisschen Angst davor zu haben.
    Und ich erzähle von meinen Pilzen, von den Myzelien, die unter der Erde wachsen, und davon, wie unvorstellbar viel Leben in ein paar Kubikzentimetern Materie zu finden ist, sei es in unserem Darm, in unserem Blut oder auch im Waldboden unter jedem x-beliebigen Baum, wie viele Mikroorganismen in Abhängigkeit von anderen nicht nur selbst existieren, sondern ihrerseits weiteren Organismen die Existenz ermöglichen.
    Das sieht man doch nur unter einem Mikroskop, sagt mein Vater, warum hast du dir denn nicht etwas Größeres ausgesucht, etwas Handfesteres?
    Weil es genau das ist, was mich interessiert, sage ich, ich finde das verborgene Leben spannender als das sichtbare. Alles hängt mit allem zusammen, das ist eine Binsenwahrheit, ich möchte mir aus diesem »Alles«, das wir als Ganzes kaum erfassen können, ein paar Kubikzentimeter herausholen, ich möchte versuchen, das Unfassbare der Natur auf etwas
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