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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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bäuerliches Erbe durchgeschlagen, wie meine Mutter es nennt, für ihn war es vermutlich ein Glück, was hätte er sonst den ganzen Tag gemacht. Zwei Hasenställe hatte er schon vorher, dann hat er noch einen Hühnerstall in unseren Garten gebaut, den er aber bald wieder aufgeben musste, weil sich die Nachbarn über das Gegacker beschwert haben, vor allem über den Gockel, der schon in aller Früh anfing zu krähen. Also hat er den Hühnerstall wieder abgerissen und aus dem Holz weitere Hasenställe gebaut, Hasen sind absolut schweigsam und brauchen nicht viel Platz. Du willst wissen, worauf du dich einstellen sollst? Auf Hasenbraten.
    Prima, sagt Ricki, esse ich gern, mich kann man mit gutem Essen immer bestechen.
    Was ist mit deinen Eltern, frage ich, was für Berufe haben sie?
    Mein Vater war Ingenieur, sagt sie, und meine Mutter bis zu ihrer Heirat Sachbearbeiterin bei der AOK, danach Hausfrau. Nach dem Tod meines Vaters hat sie in einer Boutique angefangen, im Verkauf, da arbeitet sie heute noch, aber richtig glücklich macht sie das nicht.
    Wir werden still, weil in Würzburg zwei Leute ins Abteil kommen, ein älteres Paar, beide zu dick, beide in bräunlichen Daunenmänteln, er dunkler, sie heller, und als sie ihre Mäntel ausziehen, kommen zwei ähnliche Pullover zum Vorschein, beide bräunlich, bei ihm dunkler, bei ihr heller, zwei blasse Karikaturen ihrer selbst, verheiratete Langeweile, oder, wegen ihrer Ähnlichkeit, vielleicht auch Bruder Braun und Schwester Beige. Ich erschrecke, was bist du doch für eine arrogante Ziege, sage ich mir, was bildest du dir eigentlich ein, sie könnten ein Onkel und eine Tante von dir sein, die würden auch nicht anders aussehen.
    Ricki und ich reißen gleichzeitig unsere Crackerpackungen auf und lächeln einander zu, und wieder habe ich das Gefühl, sie könnte Gedanken lesen, aber vielleicht sieht sie nur die wahren Gesichter hinter den Gesichtern, die wir alle aufsetzen, sobald wir mit anderen zusammen sind, denn das ist es, was wir gelernt haben, was uns das Leben beigebracht hat, ein anderes Gesicht aufzusetzen, nicht unbedingt, um unsere wahren Gefühle zu verbergen, sondern um nicht sofort als Wurm erkannt und von der nächsten Krähe gefressen zu werden.
    Wir lehnen uns beide zurück und schauen aus dem Fenster, sie in die Richtung dessen, was sozusagen die Zukunft bringt, und ich passenderweise in die Richtung dessen, was zur Vergangenheit wird. Felder und Wiesen ziehen an uns vorbei, Braun in Braun mit graugrünen Tupfern, Wälder mit stumpfen, goldfarbenen, orangen und rostroten Flecken, ab und zu Dörfer mit Häusern, die sich gegen den Wind ducken, und alles unter einem tief hängenden, schiefergrauen Himmel. Die Cracker knirschen und krachen, wenn man hineinbeißt, Krümel fallen auf meine Jeans und ich wische sie weg, tu nicht so miekeln, schimpft Omi in meinem Kopf, und ich sage leise zu Ricki, ich hätte mir ein schöneres Wetter gewünscht. Ricki zuckt mit den Schultern, man kann nicht alles haben.
    Wieder ein Wald, wieder rostrote, orange und goldene Flecken. Danziger Goldwasser zu Weihnachten und zum Geburtstag, dazu manchmal 4711 oder auch ein Fläschchen Tosca. Seltsam, dass ich diese Namen nicht vergessen habe, ich sehe sogar noch deutlich die Etiketten auf den Flaschen vor mir, dabei war ich doch noch ein Kind. Bin ich vielleicht ebenso besessen von meinen ersten Lebensjahren, wie Omi es von ihren war? Hat Allach für mich die gleiche Rolle gespielt wie Vierzighuben für sie? Vielleicht habe ich mir ja alles nach und nach passend zurechtgedacht wie ein orientalischer Märchenerzähler oder wie Omi sich ihr Paradies Vierzighuben zurechtgedacht hat. Mag sein, nur dass es für mich kein Paradies war. Oder doch? Vierzighuben, auf tschechisch Lány, gehört heute zu Svitavy, das einmal Zwittau hieß. Ich habe im Internet gesucht und ein paar Bilder gefunden, vom Redemptoristenkloster mit der Sankt-Joseph-Mühle. Es hat mich seltsam berührt, das anzuschauen, was meine Großmutter als Kind auch gesehen hat, denn vermutlich ist sie oft daran vorbeigegangen. Ich habe mir die Straßen angeschaut und das kleine Mädchen mit Schürze und straff geflochtenen Zöpfen vor mir gesehen, und ich habe mir gedacht, ohne die Vertreibung würde ich, wenn mich jemand fragte, wo ich herkomme, vermutlich sagen, aus Lány, woher denn sonst?
    In Nürnberg steigt das farblose Paar zum Glück aus, nicht ohne uns freundlich, als wären wir alte Bekannte, noch eine gute
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