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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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nicht, dass sie noch am Leben ist, fährt meine Mutter fort und hebt nun den Kopf, ich wollte nur, dass du das weißt. Ich gehe jetzt runter und kümmere mich um den Kaffee.
    Als sie die Zimmertür hinter sich zugemacht hat, stehe ich noch immer da, den Schlafanzug in der Hand, und zwinge mich dazu, langsam und tief zu atmen, bis sich die Schlange wieder beruhigt hat, erst dann lasse ich den Schlafanzug auf das Bett mit dem alten, hellblauen Bezug fallen und gehe zum Fenster.
    Der Garten sieht aus, wie er so spät im Jahr immer ausgesehen hat, braun und ein bisschen traurig, die Beete bis auf ein paar Kohlköpfe und Lauchstangen und zwei, drei Reihen Feldsalat abgeerntet, die Blätter an den Johannisbeersträuchern sind entweder schon abgefallen oder grau vertrocknet. Drüben, bei den Stegmüllers, gibt es keine Gemüsebeete mehr, stattdessen einen Rasen, auf dem ein Holztisch und eine Bank stehen, vor einem neu angelegten Teich mit Wasserpflanzen, und in der Mitte steht ein großer, steinerner Frosch auf einer Steinkugel. Ich frage mich, ob Otto Goldfische in den Teich gesetzt hat, das lässt sich von hier aus nicht erkennen, aber es würde gut zu ihm und zu Friedel passen. Vielleicht sollte ich an diesem Wochenende mal bei ihnen vorbeischauen. Ob Otto mich dann wieder in die Wange kneift und sagt, du warst mein dringendster Einsatz, Anne, darauf kannst du dir was einbilden? Nein, vermutlich nicht, das hat er schon lange nicht mehr getan.
    Ich gehe hinunter. Meine Mutter hat den Kaffeetisch im Wohnzimmer gedeckt, der runde Tisch und die Stühle mit den gelben Bezügen sind neu, auch die dunkelblaue Couch, zwei Sessel und ein Glastisch, die auf einem maisgelben Teppich stehen, und die Wände zeigen nicht mehr das vertraute bräunliche Blümchenmuster, sondern sind weiß gestrichen, alles sieht hell und freundlich aus, ganz anders als früher, und ich wundere mich, dass ich, als meine Mutter am Telefon gesagt hatte, wir haben das Wohnzimmer renoviert und ein paar neue Sachen gekauft, automatisch davon ausgegangen bin, dass die Neuanschaffungen genauso aussehen würden wie die ausrangierten Möbel, nur eben neu und sauber und schrammenlos. Mein Blick sucht das Foto von Omi, Marie und mir, Gott sei Dank, es steht noch auf seinem alten Platz im Schrank.
    Ricki sitzt auf der Couch vor dem Fenster, das Licht fällt von hinten auf ihre Haare, ihr Gesicht kann ich kaum erkennen, meine Mutter sitzt ihr gegenüber in einem Sessel. Anne, kannst du bitte in der Küche den Kuchen aufschneiden, sagt sie, als ich ins Zimmer komme, der Kaffee ist schon durchgelaufen.
    Ich gehe in die Küche und mache die Tür hinter mir zu. Da steht er, Omis Käsekuchen, den Marie und ich wegen des Teiggitters, mit dem er bedeckt war, den gefangenen Käsekuchen genannt haben, er sieht aus wie früher und riecht auch wie früher, Rührung steigt in mir auf, ich wusste gar nicht, dass meine Mutter das Rezept kennt, seit Omis Tod hat es bei uns keinen gefangenen Käsekuchen mehr gegeben, Marie mochte lieber Obstkuchen oder Marmorkuchen, und nach ihrem Verschwinden hat meine Mutter, soweit ich mich erinnere, nur noch selten Kuchen gebacken. Während ich ein Messer aus der Schublade hole und vorsichtig anfange zu schneiden, führen Ricki und meine Mutter im Wohnzimmer Smalltalk, jedenfalls nehme ich das an, doch als ich die runde Glasplatte mit dem geschnittenen Kuchen hinüberbringe und mitten auf den neuen Tisch stelle, höre ich verblüfft, dass sie in ein wirkliches Gespräch vertieft sind.
    Vermutlich hat Ricki irgendetwas Lobendes über das Haus gesagt, irgendetwas, was meine Mutter herausgefordert hat, denn ich höre erstaunt, dass sie offenbar bereitwillig die Geschichte des Hauses erzählt, die ja zugleich eine Geschichte unserer Familie ist, und Ricki, die »Queen der Empathie«, hört aufmerksam zu. Bei uns ist es üblich, dass die Mädchen die Namen ihrer Großmütter bekommen, sagt meine Mutter gerade, ich heiße Emma nach der Mutter meiner Mutter, und meine Töchter habe ich Marie und Anne genannt, nach ihrer Großmutter Annemarie.
    Aber warum haben Sie Ihre ältere Tochter dann nicht Anne genannt und die jüngere Marie, fragt Ricki, das wäre doch logischer gewesen.
    Mir hat der Name Marie besser gefallen, antwortet meine Mutter, und ein zweites Kind war nicht geplant, aber als es dann gekommen ist, war meine Mutter überglücklich, dass wir es Anne genannt haben.
    Der Kuchen, sage ich, und meine Mutter wirft mir einen Blick zu, als hätte
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