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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition)
Autoren: Marjana Gaponenko
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Hemden mit Perlmuttknöpfen!, dachte Lewadski, während er sich im Bus auf einen der Sitze für Schwangere und Behinderte fallen ließ. Eine hochschwangere Frau setzte sich zu ihm. »Es reicht mir, verstehen Sie!«, sagte er zu der werdenden Mutter und wandte sich sofort wieder ab; die Frau war von beispielloser Hässlichkeit. Der Bus hielt an. Lewadski stieg aus, war aber nicht da, wo er sein wollte. So ein Quatsch!, ärgerte er sich, jetzt muss ich mich über den Platz der Freundschaft quälen und die ganze Kosmonautenstraße entlang. Ich hätte noch zwei Stationen mitfahren müssen. Aber was solls, frische Luft und Gottes Segen sind wie Butter auf den Wegen ... Ri-ra-rutsch – und weg ist die Kutsch!
    Unter einem Kastanienbaum stand ein Blinder und zupfte auf seiner Gitarre. Zielstrebig ging Lewadski auf ihn zu und hob dabei seinen Zeigefinger. »Passen Sie auf, die Kastanien, nicht dass Sie getro...« Der Blinde ließ die Gitarre sinken und fletschte die Zähne. Lewadski war in seine Mütze getreten.
    »Gau ab«, zischte der Blinde mit südländischem Akzent, »oder ich gelfe dir!« Lewadski zuckte mit den Schultern und ging. Nach einigen Schritten blieb er stehen und fasste sich an die Brust: Sein Gebiss war nicht da.
    Kann nur zu Hause sein, dachte Lewadski, fühlte sich auf einmal hundemüde und steuerte auf eine Bank zu. Drei ältere Damen mit Kopftuch saßen da. Eine strickte, die zweite fütterte eine beinkranke Taube, die dritte las ein Buch. Lewadski deutete eine Verbeugung an und nahm keuchend neben der Lesenden Platz. »Hurra«, sagte Lewadski, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute in das Buch, das die alte Dame neben ihm las: »Umso merkwürdiger ist die konstante Temperatur von fast genau 35 °C im Brutnest der Bienen. Wir sehen, dass sich bei kühler Witterung die Arbeitsbienen dicht auf den Brutwaben zusammendrängen, mit ihren Körpern die Brutzellen bedecken wie mit Federbettchen und so die Wärmeabgabe nach Möglichkeit verhindern; wir sehen sie bei großer Wärme auf den Waben sitzen und mit den Flügeln fächeln ...«
    Lewadski wurde warm ums Herz. Am liebsten hätte er der alten Dame mit dem Bienenbuch die Hand geschüttelt wie einer Komplizin. Mit der linken Körperseite spürte Lewadski, dass die Dame lächelte. Wie ein Glutnest nahm er ihr Lächeln wahr. Er schloss die Augen. Sein alter Bekannter, das Rotkehlchen mit der Zecke am Auge, kam ihm in den Sinn.
    »Lächeln Sie, weil ich eben hurra gesagt habe?«, fragte er und öffnete die Augen.
    »Ja«, sagte die Dame und brach in ein bedrohliches Husten aus. »Entschuldigung«, würgte sie, »ein Krümel.« Die beinkranke Taube trat entsetzt ein paar Schritte zurück und starrte die Hustende misstrauisch an.
    »Früher war der Platz der Freundschaft eine Perle der Stadt«,sagte Lewadski, »am schönsten im Winter, da kamen wir jungen Leute mit Wassereimern hierher, legten vor dem Denkmal des Generals eine Eisbahn an und liefen nach Herzenslust Schlittschuh.« Die Hustende klappte ihr Buch zu und verfiel in ein nicht enden wollendes Räuspern. Lewadski nutzte die Gelegenheit und schielte auf die Überschrift des Buches. Verständliche Wissenschaft. Aus dem Leben der Bienen. Die Strickende und die Taubenfreundin schauten demonstrativ zur Seite. Lewadski seufzte. Wie viele Mädchen hatte er vor den aufseherischen Augen des Generals geküsst. Auf den Hals wie ein Blutsauger. Ja, der Platz der Freundschaft war früher etwas Besonderes gewesen, jeder Blinde hätte sich gefreut, wenn er von fürsorglichen Mitbürgern vor den fallenden Kastanien gewarnt worden wäre. Und jetzt? Undankbarkeit, wohin das Auge reicht!
    »Wissen Sie«, sagte er zu seiner Banknachbarin, »früher fand ich Menschen, die ›Früher war alles anders‹ sagten, grässlich. Nun sind solche Menschen liebe Geschwister für mich!«
    Ein Paar schlenderte eng umschlungen an der Bank vorbei. Es sah aus wie ein Tier auf vier Hinterpfoten. Die offenen Schnürsenkel an den Schuhen der beiden peitschten nach links und rechts und wirbelten Staub auf. »Früher wäre so etwas nicht vorgekommen«, sagte Lewadski absichtlich laut. Das Paar blieb stehen, küsste sich und ging weiter. »Widerlich!«, brummte Lewadski und leckte sich die Lippen. Das fehlende Gebiss machte ihm zu schaffen. Langsam bekam er Muskelkater vom Reden. So viel reden war er nicht gewohnt. Fünf, sechs Wörter an sich selbst gerichtet waren normalerweise seine Tagesration. Der General thronte auf seiner
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