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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition)
Autoren: Marjana Gaponenko
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einer Belanglosigkeit.
    »Mein Gott!«, jammerte Lewadski, »ist es denn so schwierig, in einer Millionenstadt Hemden mit Perlmuttknöpfen aufzutreiben?«
    Die dralle Verkäuferin griff zum Hörer. »Ich rufe in unserer Filiale an, nehmen Sie bitte inzwischen Platz.« Lewadski lehnte sich aus Protest mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Verkaufstheke und starrte aus dem Fenster. Im Menschentreiben auf der Straße fiel ihm ein großer weißer Pudel vor einer Litfaßsäule auf, der an einem Plakat schnüffelte. Moskauer Zirkus, fallschirmspringende Kamikaze-Hunde landen auf dem Rücken des Löwen! Besuchen Sie unser neues Herbstprogramm!
    Der Hund hob eine Hinterpfote, signierte das Plakat und lief weiter. Lewadski überlegte, was das Tier mit dieser Geste wohl sagen wollte. Ich pfeife auf Kunst? Das kann ich auch? Weg mit Plakaten – rettet den Regenwald?
    »Hemden mit Perlmuttknöpfen führt unsere Filiale am Franzusski Boulevard. Mit Doppelmanschetten und leider nur in Weiß«, sagte die Verkäuferin, den Hörer mit ihrer Diamantenhand umklammernd. Mit Genugtuung stellte Lewadski fest, dass das Telefon ein antiquiertes Modell mit Schnur und Drehscheibe war, das er auch selbst zu Hause hatte.
    »Wunderbar, ich begrüße Doppelmanschetten!«
    Unter den mitleidigen Blicken der beiden Verkäuferinnen drehte sich Lewadski im neuen dunkelblauen Anzug vor dem Spiegel. Das Modell Dandy behielt er gleich an. Während die beiden Damen seinen Anzug vom Ornithologentreffen wie eine Leiche in einen Anzugkoffer packten, flinkhändig und mit Seidenpapier raschelnd, stellte er sich vor, wie er gleich auf die Straße treten würde – der Wind sieht ihn und lässt alles liegen, Blätter, Zeitungsfetzen und leere Plastikflaschen, der Wind eilt mit wahnsinniger Freude auf ihn zu und lüftet vor den Augen der Welt Lewadskis zartrosa Geheimnis, das Jackenfutter.
    In der Filiale am Franzusski Boulevard kaufte Lewadski die Hemden mit Perlmuttknöpfen und Doppelmanschetten. Ein Paar Manschettenknöpfe durfte er sich aus einer großen runden Schale als Geschenk herausfischen. In einem Hutgeschäft einige Häuserreihen weiter verbrachte er eine Stunde beim Anprobieren von Kopfbedeckungen. Ein Bowler ließ Lewadski wie einen abgemagerten Churchill aussehen, entsetzt legte er ihn zurück auf den Tresen. Ein Homburg mit hochgebogener Krempe stand ihm auch nicht. In diesem Modell sah Lewadski wie ein faltiger Jüngling aus, der sich nach einer nicht bestandenen Prüfung betrunken hat. Schließlich ließ er sich zum Modell Träumer überreden, einer Inlandsversion des Borsalino. »Imposant«, schnalzte der Hutverkäufer mit der Zunge, »äußerst apart.«
    »Wo bekomme ich einen Spazierstock mit Silbergriff?« Nach fünf Stunden auf den Beinen kam er sich mehr tot als lebendig vor. »Oder besser, wo ist die nächste Konditorei?«
    »Gleich um die Ecke, direkt vor dem Denkmal der Orangenen Revolution. Den Silberstock bekommen Sie nur auf der Allee des Sieges 5.«
    Lewadski schleppte sich mit Mühe zur Konditorei und bestellte ein Stück Schokoladentorte. Da er kein Gebiss trug, schluckte er die Alkoholkirsche, die sein Tortenstück zierte, unzerkaut hinunter. Bin ich nicht rührend?, dachte Lewadski. Eine Biene setzte sich auf eine Nelke, die sich an den Rand einer Vase lehnte. Seltsam, dachte Lewadski, der Mensch kann einen Hund halten, eine Katze, einen Goldfisch, einen Papagei, eine dressierte Drossel oder Amsel, manche haben eine Schlange oder gar eine Spinne zu Hause, aber eine einzelne Biene kann man nicht halten. Die Biene stirbt ohne ihr Volk. Ach, die stirbt sowieso! Lewadski legte die Gabel auf die Untertasse und lehnte sich zurück. Die Biene flog von der Nelke auf Lewadskis Torte. Ganz unverschämt zeigte sie ihm ihren Allerwertesten.
    Lewadski betrachtete das Tier und erinnerte sich, wie er zwischen den Kriegen als Student der Ornithologie einen trockenen Busch in den Karpaten angezündet hatte, um den Bienenfresser anzulocken. Er hoffte, ein kleiner Trupp dieser Vögel würde auftauchen, um die Insekten zu schnappen, die dem Feuer entkommen wollten, und so war es auch. Mit einem kurzen pfeifenden »Wüt« schienen die rotäugigen Vögel die Luft um Lewadski zum Flirren zu bringen. Es war sein erstes Experiment, das funktionierte. Mit angehaltenem Atem beobachtete Lewadski, wie einer der Vögel eine Biene fing und sie an einem Ast rieb, um ihr das Gift herauszudrücken.
    »Die Rechnung bitte!« Der beachtliche Hintern der Kellnerin,
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