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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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kleine Kevin möchte bitte aus Småland abgeholt werden» und «Probieren Sie unser leckeres Smörrebröd im Restaurant» verlassen wir schwer bepackt das Schlachtfeld. Ich kann bis an meinen Lebensabend jeden Tag ein Teelicht fürPaul anzünden, ohne welche nachkaufen zu müssen, und Beate hat zwar immer noch kein Sofa bestellt, besitzt jetzt aber viele Kisten aus der Abteilung «Sammeln & Verwahren» . (auf denen kann man auch prima sitzen), ein neues Proseccoglas-Set und drei vor Gesundheit strotzende Fici (Ficusse? Ficanten?), die spätestens übermorgen demonstrativ alle Blätter von sich werfen und sich tot stellen werden. Atmosphärische Veränderung und so. Wahrscheinlich müsste man sie rund um die Uhr mit «Der kleine Kevin möchte bitte aus Småland abgeholt werden» beschallen, damit sie sich wohl fühlen.

MONTAG, 19.   AUGUST 2002 – FREUDE, SCHÖNER GÖTTERFUNKEN
    Die gute Nachricht: Ja. Es ist geschehen. Paul hat angerufen. An-ge-ru-fen. Keine SMS geschickt, nein, mir seine wunderbare, dunkle, sanfte Stimme geschenkt   … Wie gut, dass ich abgewartet habe.
    Okay, ich habe in den zwei Wochen, die er sich nicht gemeldet hat, ungefähr zwei Päckchen Zigaretten am Tag geraucht statt meiner sonst üblichen zwei Stück, habe vier Kilo ab- und fünf wieder zugenommen (oder umgekehrt??), habe mein altes Handy gegen die Wand geschmissen und mir ein neues gekauft für Geld, das ich nicht besitze – aber das ist jetzt alles vergessen. Denn er hat angerufen.
    Marlene war mir ganz schön in den Ohren gelegen: «Warum zum Teufel rufst DU ihn nicht an?»
    Mir fielen eine Menge plausibler Antworten ein. Weil ich die Frau bin und der Mann sich melden muss. Weil er sich von selbst rühren soll, wenn er Interesse an mir hat. Weil ich das Reh bin und er der Jäger ist. Weil ich ihn nicht unter Druck setzen will. Weil ich den Eindruck vermitteln muss, nicht wirklich interessiert zu sein. Womit wir wieder bei der Reh-und-Jäger-Kistewären   … Den wahren Grund jedoch verschwieg ich sogar Marlene. WEIL ICH MICH NICHT TRAUE. So einfach ist das.
     
    Die schlechte Nachricht: Sein Anruf kam aus Sachsen. Seine Schwester hat einen Dresdner geheiratet, und Paul muss jetzt Möbel retten und Sandsäcke schleppen. Ich hänge stundenlang vor dem Fernseher, ziehe mir die Berichte aus den Hochwassergebieten rein und meine mindestens fünfmal, Pauls Blondschopf entdeckt zu haben. Er sieht sicher sehr sexy aus in Shorts und einem schlammverschmierten T-Shirt , mit spielenden Muskeln schwere Dinge stemmend oder einen Golden Retriever aus den Fluten rettend   … Ich träume, bis mich mein schlechtes Gewissen einholt. Hunderttausende sind in Not, und ich schwelge in Heldenromantik. Sofort werfe ich den Rechner an und überweise 50   Euro auf ein Spendenkonto. Gleich geht es mir besser. Wofür ich mich sofort wieder schäme. Ich muss unbedingt nochmal Florian Illies’ «Anleitung zum Unschuldigsein» lesen.
     
    Die halb gute, halb schlechte Nachricht: Paul sagte, er melde sich, sobald er von der Elbe zurück sei – wann das sei, wisse er nicht. Ich bin also wieder mal am Warten. Aber dieses Mal wird es mir dabei besser gehen. Er wird sich melden, da bin ich mir ganz sicher. Momentan hat er eben wichtigere Dinge im Kopf   – Schwester, Sandsäcke, Sachsen. Ist okay. Ich beschließe, tätig zu werden, und hänge mich ans Telefon. Dieses Mal sind die Jungs dran. Innerhalb von zwei Stunden haben wir für Samstagnachmittag ein Charity-Fußballturnier an der Isar organisiert, dessen Einnahmen für die Flutopfer gedacht sind. Fußball zieht immer, und der Samstag wird ein voller Erfolg! Meine Freundinnen und ich dürfen von mittags bis abends in der Sonne sitzen, braun werden, halb nackten Männern beim Kicken zusehen und Bier für zwei Euro verkaufen, wovon ein Euro in dieHochwasserkasse wandert. Der Duft von gegrilltem Fleisch zieht durch die Isarauen, die Polizei fährt vorbei, sagt aber nichts (Grillen ist hier eigentlich verboten), die Sinne sind nach ein paar wohltätigen Bieren leicht benebelt, und am Ende gewinnen die «Ackerprols» aus Höhenkirchen. Ein schöner Tag.

FREITAG, 23.   AUGUST 2002 – BERLINER TRÄUME
    Nur nicht aufwachen, denke ich, als die Stimme des gut gelaunten Radiomoderators immer lauter an mein Ohr dringt und ich schon beginne, den Sinn (?) seiner Worte zu begreifen. Nein, bitte nicht, ich will nicht, noch nicht   … Ich ziehe die Bettdecke über meinen Kopf und versuche gleichzeitig, den
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