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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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dachte ich, er sei schwul. Er erzählte nämlich immer von Anikó. Und ein Name, der auf -o endete, war für mich, die ich damals noch nicht sehr weit gereist war, eindeutig männlich. Peter war wunderbar, und ich wiegte mich in Sicherheit, denn erstens war ich ein albernerTeenager mit unmöglicher Frisur, und zweitens war er ja «vom anderen Ufer», wie mein Vater sich auszudrücken pflegte (und es noch heute tut). Peter rezitierte auswendig Gedichte, mit ihm konnte ich mich über alles unterhalten und kam mir gar nicht blöd dabei vor. Ein bisschen verwirrt war ich schon, als er mich auf einmal in den Arm nahm und küsste. Doch die Verwirrung löste sich schnell auf, als er mir von seiner Frau erzählte. Zu spät. Ich war verliebt. Wir verbrachten ein paar glückstaumelige Tage, ich lernte richtig küssen und auch sonst einiges über Männer. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Klar, dass sie bald ein Ende hatte. Als Peter mich verließ, schrieb mir meine Mutter ohne mit der Wimper zu zucken eine Entschuldigung für die Schule, und ich blieb eine Woche im Bett, um zu heulen. Danach reagierte ich zwei Monate lang äußerst empfindlich auf die Worte «Berlin», «Peter», «Heinrich Heine», «Rilke», «junge Frau» und derer mehr, machte einen großen Bogen um diverse Kuss-Schauplätze in München und erlebte meinen ersten Vollrausch. Erfuhr auch gleich, dass der gegen Liebeskummer nur bedingt hilfreich ist. Ein Jahr lang schrieb ich ein Brief-Tagebuch für Peter, klebte Fotos und Eintrittskarten ein. Ich habe es ihm nie gegeben. Die drei Briefe, die er mir geschrieben hat, habe ich heute noch. Und mir wird heute noch warm ums Herz, wenn ich an ihn denke.
     
    Da ist das Gartenhuhn wieder. Seine Kehle schwillt, und es bereitet sich offensichtlich auf eine weitere Arie vor. «Am-sel-ge-schnet-zel-tes» zische ich ihm zu und starre es mit stechendem Blick an. Der Vogel klappt den Schnabel zu und ergreift die Flucht. Wenigstens eine Sache klappt wie im Roman.

DIENSTAG, 27.   AUGUST 2002 – JUST GIRLS
    Oh, mein Kopf. Kaum zu glauben, aber er schmerzt immer noch. Heute ist Dienstag. Die Party war am Samstag. Ich werde alt. Ich
bin
alt.
     
    Wir sieben Mädels trafen uns am Samstag in der Lisboa Bar, um Alexas Freiheit ein letztes Mal hochleben zu lassen. Alexa heiratet nämlich nächste Woche. Sie ist drei Jahre jünger als ich und hat schon den Mann fürs Leben gefunden, während ich wahlweise von Paul oder Peter träume und der goldene Ring am Finger eine so tollkühne Vision ist wie eine Last-Minute-Pauschalreise zur Venus.
     
    Wir nutzten die Happy Hour, und schnell war jeder freie Quadratzentimeter des Tisches mit Caipi-Gläsern zugestellt. Um Alexa herum versammelten sich zusätzlich ein paar Wodka pur. Drei Stunden später kannten wir nicht nur den Namen der ersten Bettgefährtin des Barkeepers, sondern auch all die Geschichten unserer ersten Zungenküsse, Namen und Telefonnummern der Jungs am Nachbartisch (und Vroni war vermutlich bestens mit den Goldkronen des größten und breitschultrigsten von ihnen vertraut). Irgendwie müssen die Erinnerungen an die ersten Küsse sie inspiriert haben. Gut, ihr erster Kuss lag laut Selbstauskunft auf unserer Skala («1 = die Nacht war sehr, sehr dunkel» bis «5 = very hot») bei minus 4.   Da kann man gar nicht genug nachholen.
     
    Wir beglichen die Rechnung. Ich unterdrückte eine gewisse Klammheit beim Gedanken an meinen (morgigen) Kontostand und ersetzte sie durch das «Jetzt-ist-es-eh-schon-egal»-Gefühl. Dann zogen wir weiter in den Kunstpark Ost, vorbei an allen «Hey-voll-krass-guck-mal-die-Bunnys»-Typen und «Ich-spar-auf-den-Führerschein»-Jungs direkt in den ersten Club. Natürlichwar es noch viel zu uncool früh (wer lässt sich schon vor ein Uhr nachts in einem Münchner Club blicken?), aber dafür konnten wir einen guten Platz in der Ecke ergattern. Nähe zur Bar, Blick auf die Tanzfläche, Rücken zur Wand. Perfekt. Abgesehen davon, dass die Raumtemperatur kuschelige 40   Grad betrug, meine zarten Sandalen ihre Riemen unbarmherzig in meine Fesseln schnürten und der DJ ausschließlich wahnsinnig innovativen 70er-Jahre-Sound auflegte (It’s raining men – na halleluja), war es wirklich sehr witzig. Wir tanzten wild, um unseren Kreislauf in Schwung zu halten, tranken viel, um den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, und beobachteten die anwesenden Männer.
     
    Ich ertappte mich dabei, wie ich die Menge nach 1,9 0-Männern scannte und die
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