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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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erklären?«
    Kannick starrte zu Boden. »Der hier gehört Christian. Er hat ihn mir geliehen.«
    »Aber du darfst nicht unbeaufsichtigt schießen.«
    »Margunn ist nur schnell aufs Klo. Ich muß doch für die NM trainieren«, sagte Kannick mürrisch.
    »Das verstehe ich. Aber ich muß trotzdem mit Margunn sprechen.«
    Sejer nickte. Erst zum Haus hinüber, dann zu der Zielscheibe aus verstärktem Papier. Dies war die einzige Leidenschaft des Jungen, und er nahm sie ihm gerade weg. Das fand er schrecklich. Gleichzeitig tickte etwas in ihm. Wie eine Bombe kurz vor der Detonation. Er spürte, daß sein Herz schneller schlug. Das brauchte nichts zu bedeuten, es konnte alles bedeuten, etwas ganz Entscheidendes, das kleine Detail, das er plötzlich sah. Er gab sich alle Mühe, um sich zu beherrschen.
    »Ich kann doch hier auf dem Hof schießen«, sagte Kannick, halb bittend, halb schmollend. »Nur nicht oben im Wald. Wenn ich bei der NM eine Chance haben will, muß ich jeden Tag trainieren.«
    »Und wann ist die Meisterschaft?«
    »In vier Wochen.« Kannicks Füße verharrten noch immer in der Schießhaltung. Sie steckten in schwarzen Mokassins. Von ziemlicher Größe. Die Schuhe hatten Ledersohlen und also kein Zickzackprofil wie Turnschuhe. Zwölfjährige Jungen trugen normalerweise Turnschuhe. Sejer staunte ein wenig über die Mokassins. Das waren gute Schuhe, paßten nicht zu den abgeschnittenen Jeans, die als Shorts dienten. Die ganze Zeit kämpfte Sejer gegen das seltsame Gefühl an, das in ihm aufstieg.
    »Hast du heute nacht gut geschlafen?« fragte er freundlich.
    Kannick war verwirrt. Die Stimme des Polizisten war sanft,
    seine Augen dagegen waren kalt wie Schiefer.
    »Ich habe wie ein Stein geschlafen«, sagte er tapfer. Als er diese Lüge hörte, wurde ihm schwindlig. Es war zuviel passiert. Er war aufgewacht, als Margunn Philips Bett frisch bezog, und er hatte sich alle Mühe gegeben, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Er wollte Margunns tröstende Stimme nicht hören. Aber er hatte auch Angst vor dem Einschlafen. Er wußte, daß ein schrecklicher Traum auf der Lauer lag.
    »Ich habe schlecht geschlafen«, sagte Sejer düster.
    »Ach«, sagte Kannick. Er war an solche Geständnisse von Erwachsenen nicht gewöhnt. Aber dieser Mann war eben anders.
    »Schießt du mal, und ich sehe zu?« fragte Sejer.
    Kannick zögerte. »Ja, kein Problem. Aber jetzt bin ich aus dem Rhythmus gekommen, und dann schafft man nur selten einen guten Schuß.«
    »Ich bin einfach nur neugierig«, sagte Sejer leise. »Ich habe noch nie aus der Nähe gesehen, wie jemand mit Pfeil und Bogen schießt.«
    Er beobachtete Kannick genau. Die ganze Prozedur, Kannick mußte sich konzentrieren, dann den Bogen heben, zielen und loslassen, es war eine sehr ästhetische Bewegungsabfolge, sogar dann, wenn dieser Berg von Jungen sie ausführte. Der Bogen sammelte die unförmige Gestalt auf faszinierende Weise. Kannick schoß einen Neuner und ließ den Bogen sinken.
    Sejer schaute zum Haus hinüber und sah dann wieder den Jungen an.
    »Du trägst beim Schießen Handschuhe?« fragte er.
    »Schießhandschuhe«, erklärte Kannick. »Sonst zerfetzt die Sehne mir die Fingerkuppen. Manche nehmen ein Lederpolster, aber mir sind Handschuhe lieber. Eigentlich nimmt man nur einen, für die Hand, die den Bogen aufzieht. Aber wegen der Symmetrie habe ich an jeder Hand einen, und das klappt gut. Weißt du«, fügte er hektisch hinzu. »Jeder Schütze hat seine eigenen Methoden. Christian zwinkert einmal, ehe er den Pfeil losläßt.«
    »Das sind ja ganz besondere Handschuhe.« Sejer starrte sie an. »Sie haben nur drei Finger?«
    »Ich brauche nur drei Finger zum Aufziehen und Loslassen. Daumen und kleiner Finger sind da überzählig.«
    »Aha.«
    »Das sind Reservehandschuhe, die habe ich noch nicht oft benutzt, deshalb sind sie ein wenig steif«, erklärte Kannick. »Aber sie werden noch weicher.«
    »Das sind neue?« Sejer kniff die Augen zusammen. »Warum hast du neue Handschuhe?«
    »Warum?« Kannick wurde unsicher. »Ach, weil ... die alten hab ich weggeworfen.«
    »Ich verstehe.« Sejer ließ den Blick des Jungen nicht los. Kannick starrte seine Hand an, die drei Finger aus dünnem Leder. Schmale Lederstreifen führten zu einem Riemen, der mit Klettverschluß um sein Handgelenk befestigt war.
    »Warum hast du sie weggeworfen?«
    »Warum?« Kannick wurde von schrecklicher Unruhe erfaßt. »Also, die waren alt und verschlissen,«
    »Ach so.« Sejer atmete
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