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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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um ihrem Mann mitzuteilen, daß sie es war, Sara, die nach Hause kam, nichts Schlimmes also. Er hatte keine Lust, ihren Mann kennenzulernen. Der Anblick dieses Mannes würde seine Phantasien über Saras Eheleben so deutlich werden lassen. Es war ein außergewöhnlich niedriges Reihenhaus, als Behindertenwohnung eingerichtet, mit besonders breiten Türen. Sie standen in der Wohnzimmertür. Sejer mußte an ein Buch denken, das er als junger Mann gelesen hatte. Die heißverliebte Hauptfigur bringt eine Frau nach Hause. Der junge Mann hat sein Herz an sie verloren und glaubt, sie lebe allein. Auf dem
    Weg erzählt sie ihm, daß Johnny wartet, und sein Herz bricht. Doch dann stehen sie in ihrem Wohnzimmer, und Johnny entpuppt sich als Meerschweinchen. Gerhard Struel saß am Schreibtisch und las, trotz der Hitze trug er eine Strickjacke. Jetzt drehte er sich um und nickte. Nahm die Brille ab. Der Mann war älter als Sejer. Er hatte eine Glatze, und Sejer blickte in zwei dunkle Augen. Auf dem Boden neben dem Mann lag ein Schäferhund. Der Hund hob den Kopf und starrte Sejer an.
    »Papa«, sagte Sara und sah ebenfalls zu Sejer. »Das ist Hauptkommissar Konrad Sejer.«
    Gerhard Struel war kein Meerschweinchen! Er war Papa! Sejer rang um Fassung, während er die ausgestreckte Hand nahm. Warum hatte sie ihm das alles zeigen wollen? Die Wohnung. Den hilfsbedürftigen Vater. Vielleicht wollte sie sagen: Hol mich hier raus!
    »Ich muß nach Hause zu meinem Hund«, sagte er hilflos. »Verzeihung«, sagte Sara und spielte an ihrer Jacke herum. »Ich wollte dich nicht aufhalten.«
    Gerhard Struel sah Sejer lange an. »Es ist also vorbei?«
    Ja, dachte Sejer, es ist vorbei. Ehe es angefangen hat. Ich kann jetzt keinen Versuch machen. Es ist nicht der richtige Moment. Er war in die unmögliche Lage geraten, den Telefonhörer von der Gabel nehmen und Saras Nummer wählen zu müssen, wenn er mehr wollte. Sie hatte schon einmal die Initiative ergriffen. Jetzt war er an der Reihe. Sie gab ihm die Hand.
    »Wir waren ein ausgezeichnetes Team, findest du nicht?«
    Er hatte das Gefühl, daß sie ein Samenkorn gepflanzt hatte. Vielleicht würde es keimen.
    Ein ausgezeichnetes Team.
    Er fand den Namen in seinem Namensbuch. Sara. Fürstin.
    Später lag er im Bett und starrte die Decke an. Redete in Gedanken mit ihr. Und drückte sich dabei äußerst elegant aus. Ich wußte, daß du auftauchen würdest. Ich habe auf dich gewartet.
    Erzähl mir von dir, sie lächelte.
    Was möchtest du hören?
    Eine Kindheitserinnerung. Eine schöne.
    Diese ist schön: In dem Sommer, in dem ich fünf Jahre alt wurde, ging mein Vater mit mir in den Dom von Roskilde. Ich wußte nicht, was sich dort versteckte, ich trat ganz unvorbereitet aus dem warmen Sonnenschein draußen auf den Steinboden. Im Kirchenschiff standen sehr viele Särge. Mein Vater erklärte mir, daß darin Menschen lägen. Sämtliche Pastoren, die an dieser Kirche gewirkt hatten. Sie lagen so, daß alle sie sehen konnten, in einer endlosen Reihe, an den Bänken entlang. Die Särge waren aus Marmor und unbeschreiblich schön. Es war kalt im Dom, ich fror. Ich zog und zerrte an der Hand meines Vaters und wollte wieder nach draußen. Nachher tat es ihm leid. Die schlafen den ewigen Schlaf, sagte er und lächelte. Aber wir müssen nach Hause und im Garten arbeiten, und dabei ist es so heiß. Ich muß Rasen mähen, und du mußt Unkraut jäten.
    Der Anblick der Särge ließ mich nicht los. Erst, als Mutter in den Garten kam und uns Erdbeergrütze auftischte. Die Grütze war kühl, weil sie im Keller gestanden hatte, die Sahne dagegen war lauwarm. Ich aß die Grütze und dachte, das alles müsse ein Irrtum sein. In den Särgen sei gar nichts. Nur Spinnweben und Staub. Und die Grütze schmeckte so wunderbar, daß ich es unmöglich fand, daß das Leben nicht ewig dauerte. Ich sah zum blauen Himmel hinauf und entdeckte plötzlich, daß dort oben eine Engelsschar mit weißen Flügeln schwebte. Vielleicht wollten die uns holen, und dabei hatten wir noch nicht einmal die Grütze gegessen. Vater sah sie auch. Er schaute hoch und lächelte begeistert. Sieh mal, Konrad, wie schön die sind!
    Die Armee hatte fünfzehn Fallschirmspringer eingesetzt, und die landeten nicht weit von uns entfernt auf einem Fußballplatz. Ich habe nie vergessen können, wie schön sie waren und wie langsam sie zu Boden sanken.
    Danach lag er lange wach. Er war mehr als müde, aber seine Augen waren gewissermaßen von innen erleuchtet. Er
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