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Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Wer hat Angst vorm boesen Wolf

Titel: Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Autoren: Karin Fossum
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Hat mich angefleht, ich sollte ihm helfen.«
    »Wobei denn ?«
    »Euch davon zu überzeugen, daß es ein Unglück war.«
    »Undwar es ein Unglück?«
    »Auf jeden Fall. Er hatte auf die Tür gezielt. Er wußte nicht, daß wir in dem Haus waren, und schon gar nicht wußte er, daß Errki gerade die Tür aufmachen wollte.«
    »Na gut. Und was sonst noch?«
    »Was meinen Sie jetzt ?«
    »Hat er vor ge schlagen wegzulaufen oder die Leiche zu verstecken ?«
    »Nein, nein. Gar nicht. Das habe ich ihm ausgeredet.«
    »Also hat er es vorgeschlagen ?«
    » Nein, nein, eigentlich nicht. Er hat einfach wild drauflos geredet. Er war in Panik. Das ist doch wohl kein Wunder. Sein Glück, daß er erst zwölf und damit nicht strafmündig ist.«
    ER LIESS SICH HINTER DAS LENKRAD SINKEN und zog die Tür ins Schloß. Obwohl er schlecht geschlafen hatte, war er plötzlich auf seltsame Weise klar im Kopf. Er hatte das seltsame Gefühl, daß dieser Moment entscheidend sei. Die Zeit stand still. Er schaute aus dem Wagenfenster und suchte nach einer Erklärung für dieses Gefühl, aber er fand keine. Er fühlte sich wie versteinert, konnte sich nicht bewegen. Das war nicht unangenehm, es war nur seltsam. Er sah seine Hände auf dem Lenkrad. Sah jedes einzelne Haar auf dem Handrücken, die feinen Linien über den Fingerknöcheln. Die weißen Fingernägel, glatt und sauber. Seine Uhr. Die kleine Goldkrone auf dem Zifferblatt. Sein Gesicht war älter als in seiner Erinnerung, aber es war unendlich wach. Ein Auto, das unten auf der Straße hupte, weckte ihn. Er schaltete und glitt über den Platz, vorbei an den Reihen abgestellter Wagen.
    Der Junge stand kerzengerade da. Sein linker Fuß zeigte schräg nach vorn, sein rechter Arm wies vorwärts. Er hob den Kopf, das Kinn. Er holte einmal tief Atem. Atmete langsam wieder aus. Dann drehte er den Kopf nach links, langsam, wie um sich anzuschleichen. Nicht plötzlich, sondern ganz, ganz sanft. Kniff die Augen zusammen. Sah in dreißig Meter Entfernung den gelben Kreis, sah ihn schärfer werden. Wieder holte er tief Luft, dann hielt er den Atem an. Sein riesiger Brustkasten weitete sich, als er den Bogen in Augenhöhe hob. Er zog ihn auf, ankerte und zielte. Sah den kleinen roten Punkt die Unterseite der Zielscheibe berühren. Er wollte jetzt einen Zehner. Dafür war er gut genug, es gab diese goldenen Momente, in denen alles gelang. Der Pfeil jagte von der Sehne, der Bogen jagte aus der Hand, kippte elegant nach unten und blieb am Riemen an seinem Handgelenk hängen. Der Pfeil bohrte sich mit scharfem Ticken in die Zielscheibe. Der Junge atmete aus und suchte in seinem Köcher nach einem weiteren Pfeil, ohne die Zielscheibe aus den Augen zu lassen, ohne die Füße zu bewegen. Legte den Pfeil an die Sehne. Er wollte drei Zehner. Wenn er Glück hatte, würde Pfeil Nummer drei die beiden anderen mit einem klirrenden Geräusch berühren. Wieder ließ er den Bogen hängen, holte Luft, schloß die Augen. Öffnete sie wieder. Starrte die Zielscheibe und die roten Federn des ersten Pfeils an, die im Zentrum des gelben Kreises zu sehen waren.
    Dann hörte er ein Geräusch. Erst wollte er es ignorieren, ein guter Schütze läßt sich nicht ablenken, er macht weiter, ohne in seiner Konzentration nachzulassen. Aber der Lärm verstummte nicht, wurde lauter. Das gefiel ihm nicht. Er wollte seine drei Pfeile abschießen. Es war ein Wagen. Pfeil Nummer zwei jagte von der Sehne. Ein Achter. Er grunzte gereizt und schaute sich um. Ein Streifenwagen fuhr auf den Hof.
    Kannick senkte den Bogen und blieb reglos stehen. Sejer in voller Uniform stieg aus. Er wollte sicher nur guten Tag sagen, sich nach Kannicks Befinden erkundigen. Ob Kannick gut geschlafen habe. Sejer war nett. Vor dem brauchte man keine Angst zu haben. Kannick lächelte unsicher.
    »Guten Morgen, Kannick.«
    Sejer lächelte nicht. Er sah ernst aus. Nicht so nett wie bisher, irgend etwas schien ihn zu belasten. Er drehte sich um und schaute die Zielscheibe an.
    »Du hast einen Zehner«, stellte er fest.
    »Ja«, sagte Kannick stolz.
    »Ist das schwer?«
    Sejer schaute neugierig den blanken Bogen an, verzog aber keine Miene.
    »Ja, das ist schwer. Ich übe es schon seit über einem Jahr. Ich hätte vielleicht noch einen Zehner geschafft, wenn du mich nicht gestört hättest.« »Tut mir wirklich leid.« Sejer blickte dem Jungen mit ernster Miene in die Augen. »Wir haben dir den Bogen weggenommen. Und jetzt schießt du. Wie kannst du das
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