Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf?
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
Grabhügel geplündert worden sein könnte, während ihre Aufmerksamkeit etwas anderem gegolten hatte, und sie machte sich erste Selbstvorwürfe. Warum hatte sie vor allem den Grabhügel wie ein Lamm unter Wölfen als erste verlassen? Zumal er dadurch bei einer Rückkehr der Männer dieses widerwärtigen Bauunternehmers die ganze Zeit unbewacht geblieben war. Sie tastete ungeschickt nach ihrer Taschenlampe und ließ sie fallen. Das Verschlußteil löste sich, und sämtliche Batterien purzelten der Reihe nach in das kurze drahtige Gras. Als sie die Taschenlampe wieder zusammenzubauen versuchte, wollten ihre Finger nicht gehorchen – heute schien wirklich alles schiefzugehen, was sie anfaßte. Als das erbärmliche Ding endlich repariert war, rückte sie wie eine Löwenbändigerin im ersten Lehrjahr näher an das Loch in der Seite des Grabhügels heran. Dabei hatte sie jetzt weniger Angst davor, was sie möglicherweise zu sehen bekäme, als vielmehr davor, was sie möglicherweise nicht zu sehen bekäme. Mit einem tiefen Atemzug, der nicht nur ihre Lungen, sondern auch ihre Taschen und das gesamte Futter ihrer Jacke zu füllen schien, steckte sie einen Zeh in die Lochöffnung, als prüfe sie die Wassertemperatur eines heißen Bads. Drinnen schien sich etwas zu bewegen.
    »Was ist denn los?« verlangte eine Stimme unterhalb der Erde zu wissen.
    Also hatte sie die Plünderer auf frischer Tat ertappt! Plötzlich war ihr vertrauter kleiner Körper von unnachgiebigem und übermäßigem Mut erfüllt, denn hier lag ihre Chance, sich in archäologischer Hinsicht reinzuwaschen, wenn sie im Kampf mit Grabräubern und Antiquitätenhändlern ohne Gewerbeschein sterben würde.
    »Okay«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »kommt jetzt lieber raus da unten! Die gesamte Gegend ist umstellt.«
    Es gab ein schepperndes Geräusch, als bewege sich etwas sehr Schweres, und jemand fluchte: »Warum paßt du nicht auf, wo du mit deinen großen Füßen hintrittst?« Dann fiel ein Strahl der untergehenden Sonne plötzlich auf rotglühendes Gold und blauen Stahl, und ein Mann, dessen Silhouette sich gegen den Himmel abzeichnete, stand am Rand des Grabhügels.
    Er war etwas über einen Meter achtzig groß und mit einer vergoldeten Kettenpanzerrüstung bekleidet. Sein Gesicht war halb von einer Maske mit Tierornamenten verdeckt, die gleichzeitig das Visier seines glänzenden Helms bildete, während um seine bärengleichen Schultern ein dicker grauer Fellmantel geschlungen war, der am Hals mit einer Spange in Form von zwei sich umklammernden Tieren zusammengehalten wurde. In seiner rechten Hand hielt er ein anderthalb Hände breites Schwert, auf dessen Knauf Granatsteine wie die Lichter ferner Wachfeuer glänzten.
    »Wer, zum Teufel, sind Sie?« polterte der Mann vom Grabhügel herunter.
    Hildy antwortete nicht, weil sie sich schlichtweg nicht mehr daran erinnern konnte, wer sie eigentlich war. Der Mann klatschte in die kettengepanzerten Hände, woraufhin nacheinander zwölf Männer aus dem Grabhügel auftauchten. Neun von ihnen waren ähnlich ausgerüstet und maskiert, und an den Armen trugen sie papierdrachenförmige Schilde, die in der untergehenden Sonne zu brennen schienen. Von den anderen dreien war einer von gedrungener Gestalt. Er trug ein langes weißes Gewand, das die Umrisse seines Körpers verschleierte wie eine tiefhängende Wolke einen Hang, und sein Gesicht war von einer Kapuze aus Katzenfell bedeckt. Er stützte sich auf einen Stab, der aus einem einzigen Walroßstoßzahn in der Form einer Schlange geschnitzt war. Der zweite der drei Männer war von riesiger Statur, größer als jedes menschliche Wesen, das Hildy jemals zuvor gesehen hatte, und er war mit einem langhaarigen Bärenfell bekleidet. Auf der Schulter trug er eine große Hellebarde, deren Schneide so lang wie ihr baumgleicher Schaft war. Der dritte war zwar kleiner als der Rest der bewaffneten Männer, aber immer noch groß. Er war schlank und bewegte sich gewandt wie ein Tänzer. Statt einer Rüstung trug er nur ein purpurfarbenes Wams und dunkelblaue Kniebundhosen. Unter dem linken Arm hatte er sich eine vergoldete Harfe geklemmt, während er über der rechten Schulter einen Langbogen aus Eschenholz und einen Köcher voller Pfeile mit grünen Flugfedern trug.
    Die Männer sahen sich nach allen Seiten um, wobei sie die Augen sogar gegen die rötliche Wärme der untergehenden Sonne abschirmen mußten, als sei der kleinste Lichtstrahl für sie schon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher