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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Autoren: Léo Malet
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darauf versteht
als ich, und gehe auf Entdeckungsreise durchs Haus.
    Das Zimmer gegenüber sieht aus wie ein
Büro. Schreibmaschine, Telefon, Regal, Aktenordner und der ganze Kram. Aber
weit und breit keine Menschenseele.
    Ich öffne eine Tür in der ersten
Etage. Ein undefinierbarer Geruch schlägt mir aus dem Halbdunkel entgegen und
kitzelt meine Nase. Es muß das Zimmer mit den cremefarbenen Vorhängen sein.
Außerdem sind auch noch dunkle Samtvorhänge zugezogen, so daß man kaum was
sehen kann. Ich ziehe sie zur Seite, und herein strömt helles, fröhliches
Tageslicht, leicht und frühlingshaft. Ich muß die Augen zusammenkneifen, so
sehr blendet mich die plötzliche Helligkeit. Von den drei Zweibeinern, die sich
hier im Zimmer befinden, bin ich der einzige, bei dem das Licht diese Wirkung
hervorruft.
    Damen haben Vortritt. Ich sehe mir
also zuerst die Frau an. Man kann sagen, daß ich heute mit weiblichen Körpern
gut bedient bin. Dieser hier trägt ein duftiges, durchsichtiges Negligé, das
nichts von den jugendlichen Formen vor meinen neugierigen Augen verbirgt. Die
Dame liegt auf dem Rücken in einem zerwühlten Bett. Das Kopfkissen ist auf den
Nachttisch gefallen und hat eine Lampe umgeschmissen. Die Splitter der Birne
liegen auf dem Boden. Die Laken hängen vom Bett herab. Die brünette Frau — es
handelt sich wohl um Madame Désiris — ist von der Natur stiefmütterlich
behandelt worden. Auch unter günstigeren Umständen muß ihr Gesicht nicht sehr
verführerisch gewesen sein. Jetzt ist es vor Angst und Schmerz verzerrt.
    Es ist weder der Ort noch der
Augenblick für Philosophie und Haarspalterei, aber ich kann mir nicht helfen:
Mir fällt meine sowohl phantasievolle, romantische wie falsche Deutung des
Namens Désiris ein. Désiris! Bei diesem Namen habe ich sofort an eine Frau von
aufsehenerregender Schönheit gedacht, Typ Vamp, Filmstar etc. Und was muß ich
hier sehen? Eine höchst durchschnittliche, ja häßliche Frau, mit Verlaub. Kurz
gesagt, Madame Désiris hat mir denselben üblen Streich gespielt wie
Mademoiselle Des Oeillets, eine Hofdame von Louis XIV., die in die
Giftmischeraffäre verwickelt war. Die hab ich mir immer aufgrund des blumigen
Namens so anbetungswürdig wie die Montespan
vorgestellt. Leider wird sie von glaubwürdigen Chronisten als furchtbar häßlich
beschrieben. Um das Maß vollzumachen, fügen sie noch hinzu, daß diese Mademoiselle Des Oeillets nicht grade wie eine Rose duftete .
Na ja, was jetzt von ihr und Madame Désiris übrig ist... Letztere ist durch
eine Kugel in den Hals und zweien in die Brust ungenießbar geworden.
    Der Kerl vor ihr auf dem Bettvorleger
geht auf die fünfzig zu, die er wohl kaum erreichen, geschweige denn
überschreiten wird. Er hat eine Kugel in den Mund gekriegt und sie nicht wieder
ausgespuckt. Der Mann sieht aus, als wolle er seinen Notar besuchen. Grauer
Anzug mit tadelloser Bügelfalte, kaum verrutschter Krawattenknoten,
blankgeputzte Schuhe. In Schönheit sterben, war wohl seine Devise. Sieht ganz
so aus, als hätte er das Bühnenbild selbst arrangiert. In seiner Reichweite
liegt eine Kanone. Die übliche Ausstattung für einen Durchschnittshaushalt. Wie
Töpfe und Pfannen, Radiogerät und Ahnengalerie.
    Ich überwinde mein Ekelgefühl, streife
ein Paar Handschuhe über und beuge mich über die Leiche des Mannes. Wie er so
daliegt, ganz ruhig, kann man sich nicht vorstellen, daß er mir in Zukunft so
lästig werden wird. Ich schiebe meine Hand unter seine Jacke in Richtung Innentasche
und ziehe eine Brieftasche heraus. Außer etwas Geld und uninteressanten
Papieren entdecke ich einen Ausweis auf den Namen Charles Désiris, Ingenieur.
Ich stecke die Brieftasche wieder an ihren Platz, richte mich auf und
untersuche die Schubladen einer kleinen Kommode. Aber ich finde nichts von
Bedeutung.
    Ich gehe in das Zimmer nebenan. Auch
das entpuppt sich als Schlafzimmer. Das eines Herrn ,
wie ich an einigen Kleinigkeiten sehe. Das schmale Einzelbett ist zerwühlt, wie
sein Kollege in dem Totenzimmer. Hier hat heute nacht jemand gelegen, ohne allerdings viel und gut geschlafen zu haben. In der Mulde
des Kopfkissens liegt ein Blatt Papier, auf dem ein paar Worte stehen: Sie
haben es nicht anders gewollt. Charles Désiris.
    In einem Schreibtisch finde ich ein
Familienbuch. Ich lese, daß der Ingenieur Charles Henri Désiris, geboren 1912
in Paris (ich hatte ihn älter geschätzt), und Mademoiselle Jeanne Hélène
Labouchère, geboren 1934 in Versailles
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