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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Autoren: Léo Malet
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Finger berühren, ist nicht
aus Stoff. Keine Wurst, eher Knochen. Eine halbrunde Form unter Kleidungsstoff.
Erinnert mich stark an eine jugendliche Brust. Allerdings hüpft sie nicht, und
sehr warm ist sie auch nicht mehr.
    Meine Kehle ist von einer ganz
besonderen Trockenheit, die selbst ein Liter Martini nicht wegspülen könnte.
Ich richte mich wieder auf und werfe einen Rundblick über die Straße. Alles ist
still, friedlich und menschenleer. Nur in einem Fenster gegenüber hat eine
Putzfrau ihre Arbeit unterbrochen, um mir bei meiner zuzusehen. Ich lächle ihr
zu, so gut ich kann. Ja, meine Süße, wir gehören zu dem morgendlichen
Arbeitstrupp, der für die Sauberkeit der großen Stadt verantwortlich ist. Die
Müllabfuhr hat schon Feierabend, jetzt ist Nestor an der Reihe, Liebling des
Sensenmannes, Akquisiteur für Borniol . Immer dieselbe Kost
zum Frühstück: kaltes Fleisch. Als hätte die Putzfrau gegenüber meine Gedanken
erraten, zieht sie sich von ihrem Beobachtungsposten zurück. Hat wohl Angst vor
mir gekriegt.
    Ich konzentriere mich wieder auf meine
Arbeit. Da ich schon mal meine Nase in der Scheiße habe, kann ich auch gleich
weitermachen. Wie üblich. Ich schiebe die Eichentür weiter auf, bis ich ins
Haus schlüpfen kann, und schließe sie hinter mir.
    Die Villa hüllt sich in Schweigen.
Keine Reaktion auf mein Klingelzeichen. Die Stille wird nur durch das
aufdringliche Ticken einer Standuhr zerhackt, vielleicht auch noch durch meinen
dumpfen Herzschlag. Und dunkel ist es. Ich suche den Lichtschalter und knipse
das Licht an. Eine schmiedeeiserne Deckenlampe wirft grünliches Licht auf den
leblosen Frauenkörper. Dadurch wirkt das Gesicht auch nicht gerade frischer.
    Ich fühle mich sehr alleine in dem
Flur. Außer dem leblosen Frauenkörper leisten mir noch die sargförmige
Standuhr, ein düsterer Schirmständer und ein von Kleiderhaken umrahmter Spiegel
Gesellschaft. Das Pendel in der Uhr taucht bei jeder schwingenden Bewegung in
das unheimliche Licht ein. Ich stehe reglos da und lausche nervös auf irgendein
menschliches oder sonstiges Lebenszeichen. Kein Zeichen, nichts zu sehen,
nichts zu hören. Draußen schnurrt ein Motorengeräusch heran, wird lauter,
verstummt. Ein Wagen hält vor dem Haus, eine Tür knallt zu. Ich bin gespannt
wie ein Flitzebogen. Das einzige, was sich hier im Flur bewegt, ist das Pendel,
das sich im Spiegel verdoppelt. Keine Schritte kommen näher, niemand will in
die Villa. Falscher Alarm.
    Ich beuge mich über den Körper. Das
Mädchen ist vielleicht zwanzig Jahre alt. Sieht aus wie’n Dienstmädchen, das
gerade aus seinem Heimatkaff hier in Paris angekommen ist. Ziemlich hübsch,
trotz ihres unvorteilhaften Zustandes, und gut gebaut. Ihr hochgerutschter
Nylonkittel enthüllt zwei verlockende Beine, die man gerne ein Stück Weges
begleiten würde. Die Augen des Mädchens sind geschlossen, der Mund verkniffen.
Mit Erleichterung stelle ich fest, daß sie zwischen ihren blutleeren Lippen
atmet. Ich seufze auf. So blutrünstig bin ich nämlich gar nicht. Mir ist es
lieber, daß die Kleine nur aus den Latschen gekippt ist. Nirgendwo an ihr sind
Spuren irgendeiner Verletzung zu sehen. Soweit ich es nach meiner
oberflächlichen Untersuchung beurteilen kann, ist sie nicht nach einem harten
Schlag ohnmächtig geworden. Die Ursache war wohl einfach ein Schock oder so was
Ähnliches. Wenn sie wieder zu sich kommt, wird sie’s mir verraten. Aber so
eilig scheint sie es nicht zu haben. Ich muß ihr dabei helfen. Allerdings ist
dieser Platz denkbar schlecht geeignet, meine Fähigkeiten als Krankenschwester
unter Beweis zu stellen. Ich mache mich auf die Suche nach einem günstigeren
Ort.
    Vom Hausflur führt eine kleine Treppe
auf einen Absatz. Ich öffne die erstbeste Tür und stehe in einem Zimmer mit
geschlossenen Fensterläden. Ich mache Licht. Es ist so eine Art Salon, so
einladend wie ein Leichenschauhaus. Aber unter anderem erblicke ich ein Sofa,
das mir grade recht kommt. Ich gehe zu der Bewußtlosen zurück, hebe sie hoch —
ich weiß nicht, wovon sie sich ernährt, aber schwer ist sie nicht! — und trage
sie in den Salon, wo ich sie auf das Sofa lege. Sofort beginne ich mit
bewährten Wiederbelebungsversuchen: Ohrfeigen und Wasser, das ich aus der Küche
nebenan hole. Man kann nicht behaupten, daß meine Maßnahmen von umwerfendem
Erfolg gekrönt sind. Die Kleine schläft hartnäckig weiter. Nach einigen
Versuchen überlasse ich das Feld Mutter Natur, die sich besser
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