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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
Autoren: Léo Malet
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die letzten
Minuten totzuschlagen.
    Als ich wieder auf die Avenue de
Wagram hinaustrete, herrscht zwischen dem Boulevard Pereire und der Place du
Brésil immer noch kein mordsmäßiger Betrieb. Der geringe Verkehr weckt bei den
Autofahrern trügerische Hoffnungen. Sie rasen auf den Arc de Triomphe zu, wo
sie dann der schönste Stau rund um die Place de l’Etoile erwartet.
    Auf den breiten Bürgersteigen sind die
Passanten rar. Eine Brotverkäuferin tritt mit ihrem Korb aus einer Bäckerei.
Ein Straßenfeger stützt sich nachdenklich auf seinen Besen, der im Abflußwasser
des Rinnsteins steht. Eine Concierge fegt den Teil des Bürgersteigs, für den
sie zuständig ist. Ein gelangweilter Hausdiener geht mit einem Hund Gassi. Er
ist kurzbeinig, langhaarig und potthäßlich. Ich meine den Köter. So was sieht
man nur in den „besseren“ Vierteln, wo das Geld zu Hause ist. Je häßlicher
Hunde sind, desto teurer sind sie anscheinend. Verständlich. Um solche
Beleidigungen fürs Auge zu produzieren, bedarf es wahrscheinlich sehr viel
Zeit. Und diese mühevolle Handarbeit muß teuer bezahlt werden.
    Auf den Baikonen der soliden
großbürgerlichen Villen stehen Dienstmädchen, die Haare durch ein Kopftuch oder
ein Häubchen vor Staub geschützt, und schlagen Staubtücher aus oder klopfen
Teppiche. Die Zukunft gehört denen, so heißt es, die früh aufstehen.
Geschissen! Wer früh aufsteht und dann sofort auf die Straße rennt, fängt sich
höchstens viele Bakterien ein, mehr nicht. Das reicht für den ganzen Tag. Bis
um zehn Uhr morgens liegt Tuberkulose in der Luft; und manchmal sogar fallen
kleine Tierchen, Obstkerne oder Brotkrumen vom Himmel, einfach so. Damit sich
das Zeug schnell vermehrt, kann man es mit nach Hause nehmen und an einem
warmen Ort auf bewahren.
    Ich jedenfalls begebe mich zu dieser
unchristlichen Zeit in die Rue Alphonse-de-Neuville. Mein Ziel ist ein Haus mit
schmaler Fassade. Das Operettenschlößchen gehört zu den zahlreichen Villen in
diesem Viertel, Überreste einer vergangenen Epoche, luxuriöse Wohnsitze von
Berühmtheiten der Schlafzimmer, von Malern, die groß in Mode waren, von
Schauspielerinnen und berühmten Vertreterinnen des horizontalen Gewerbes. Die
runden Mansardenfenster in dem schrägen Schieferdach sind barockartig verziert.
Ein ebenso lächerlicher wie unnützer Wetterhahn schmückt eins der
Spitzentürmchen. Die Läden der beiden Fenster im Erdgeschoß sind geschlossen.
Hinter den Scheiben der beiden Fenster in der ersten Etage sieht man die Falten
von schweren, cremefarbenen Vorhängen. Über der Eichentür prangt, mit
Ornamenten verziert, eine Jahreszahl. Firlefanz aus Gelbkupfer rundet das Bild
ab: ein altmodischer Türklopfer, ein Guckfenster und die Klappe eines
Briefschlitzes.
    Das Haus wird von einem modernen
sechsstöckigen Gebäude und einer anderen kleinen Villa mit einem in Stein
gehauenen Hund flankiert. Das leblose Tier zwischen den beiden Fenstern der
oberen Etage blickt melancholisch-treu auf die Avenue de Wagram hinunter, so
als warte es auf sein geliebtes Herrchen und fürchte bereits, ins Tierheim
gebracht zu werden. Mit derartigen Kunstwerken kann ich nicht viel anfangen.
Lustig sieht’s aber nicht aus.
    Die Villa von Madame Désiris macht
allerdings auch keinen fröhlicheren Eindruck. Offen gesagt, in so einem Kasten
möchte ich nicht wohnen. Das riecht direkt nach stinkender Langeweile. Vielleicht,
weil es keinen Vorgarten gibt. Ein Gärtchen vervollständigt das Bild und
lockert es auf. Aber in dieser Gegend befinden sich die Gärten hinter den
Häusern. Diese Egoisten! Na ja, ich bin nicht hier, um gefühlsselige,
architektonische oder sonstige Kritik zu üben. Ich muß meine Klienten nehmen,
wie sie kommen. Mit ihrem ganzen Drumherum als Zugabe.
    Ich nähere mich der Eichentür. Meine
Hand berührt schon den Türklopfer, als ich ein moderneres Klingelsystem
entdecke: einen Messingknopf. Ich drücke ihn und merke, daß die Tür nur
angelehnt ist. Ohne eine Reaktion auf mein Läuten abzuwarten, schiebe ich sie
auf.
    Die Angeln sind gut geölt, aber die
Tür läßt sich nur zwanzig Zentimeter öffnen. Irgend etwas versperrt den Weg. Eine Sicherheitskette scheint es nicht zu sein. Dafür liegt
das Hindernis zu tief, auf dem Boden. Wahrscheinlich eine dieser Stoffwürste,
die verhindern sollen, daß Zugluft durch die Türritze dringt. Ich bücke mich,
greife hinter die Tür und taste mit der Hand nach dem Hindernis.
    Der Tag fängt ja gut an!
    Was meine
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