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Wer braucht schon Liebe

Wer braucht schon Liebe

Titel: Wer braucht schon Liebe
Autoren: Denise Deegan
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beides zu tun, dann ist es Rachel.
    Auf ihrem grellroten Sitzsack haben wir alle Platz.
    » Also«, fragt Sarah, » ist Jack eigentlich gerade mit irgendjemandem zusammen?«
    Rachel schiebt sich auf dem Sitzsack nach oben. » Wenn du auch nur das geringste Interesse an dem Neandertaler hast, dann solltest du dein Hirn untersuchen lassen. Und das meine ich ernst.«
    Jetzt hätte ich eigentlich lachen sollen, aber auf einmal, wie aus heiterem Himmel, überkommt es mich. Wie ein schweres Gewicht. Wie eine schwarze Wolke. Mum ist weg. Und sie kommt nicht mehr wieder. Egal, wie oft das passiert, es zieht mich jedes Mal runter. Im einen Moment bin ich okay, im nächsten gehe ich unter.
    » Ich geh aufs Klo«, sage ich und kämpfe mich hoch. Raus. Frische Luft.
    Ihre Gesichter versteinern. Sie sehen sich an. Dann mich.
    Ich weiß nicht, wieso sie es immer wissen. Aber sie wissen es. Ich hebe eine Hand hoch. Lächele. » Mir geht es gut.«
    Im Bad wasche ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Ich setze mich auf den Badewannenrand. Atme tief ein und aus. Ich versuche, an etwas anderes zu denken als daran, dass sie nicht in der Küche sein wird, wenn ich nach Hause komme. Ich schicke Mike eine SMS , um ihm Bescheid zu sagen, dass er mich abholen kann. Denn wenn ich so drauf bin, ist der einzige Ort für mich mein Bett.
    Endlich stehe ich auf und gehe wieder zurück. Die Tür zu Rachels Zimmer steht immer noch offen. Drinnen höre ich sie reden. Ihre Stimmen sind so leise, dass ich weiß, es geht um mich. Ich bleibe stehen. Horche. Will es nicht hören. Kann mich aber nicht losreißen.
    » Wie lange soll das noch so weitergehen?«, fragt Sarah.
    » Ich weiß es nicht.«
    » Ich wünschte, sie würde reden.«
    Ein tiefer Seufzer. Dann: » Ich auch.«
    » Ich vermisse die alte Alex«, sagt Sarah und vergisst zu flüstern. » Die, die mich früher bei Kissenschlachten und beim Smoothie-Wetttrinken besiegt hat. Die Partys geschmissen und mich verarscht hat wie blöd.«
    » Ich vermisse sie auch.«
    » Es ist so, als hätten wir sie verloren.«
    » Und es wird immer schlimmer.«
    » Können wir denn gar nichts tun?«, fragt Sarah.
    » Ich weiß es nicht mehr.« Rachel klingt so frustriert. » Ich versuche, mit ihr zu reden. Ich sage ihr, dass wir für sie da sind. Sie zieht sich bloß immer mehr zurück.«
    Sie schweigen, und ich will gerade reingehen, da redet Rachel weiter. » Mum sagt, das Beste, was wir tun können, ist einfach für sie da sein. Warten, bis sie auf uns zugeht. Wenn sie so weit ist.«
    Das wird nicht passieren, denke ich. Dann gehe ich wieder hinein. Sie sehen so schuldbewusst aus, dass ich, auch wenn ich nicht gelauscht hätte, wüsste, dass sie über mich geredet haben.
    » Hey«, sage ich gezwungen fröhlich. » Mike hat gerade angerufen. Ich muss los. Sorry.«
    » Alles klar«, sagt Rachel. Und steht auf. » Ich bring dich raus.«
    ***
    Die Samstagnachmittage gehören meiner Gran, der Mutter meiner Mutter. Jedes Mal, wenn ich sie besuche, ziehe ich die Vorhänge auf. Ich weiß, dass sie sie wieder zuzieht, sobald ich gegangen bin. Sie sagt, es geht ihr gut, aber das stimmt nicht. Wir sitzen beieinander, umgeben vom Krimskrams eines ganzen Lebens (Gran kann nichts wegschmeißen, nicht einmal die unsinnigsten Geschenke – hässliche Vasen, ein Fußmassagegerät, das sie nie benutzt, zwei Kleiderständer). Wir sitzen beieinander und spielen uns gegenseitig etwas vor. Sie näht. Nadel rein, Nadel raus. Ich erzähle von der Schule. Klingt alles sehr positiv. Falls sie bemerkt, dass mein alter Enthusiasmus nur aufgesetzt ist, dann sagt sie es jedenfalls nie. Ich habe meine Gran schon immer geliebt. Sie wird nie alt, weil sie mutig ist und abenteuerlustig und weil sie immer etwas tut für sich – und für uns. Als ich noch klein war, habe ich jeden Freitag mit meinen Cousins und Cousinen bei ihr übernachtet. Für ein Einzelkind war das ein Paradies – Kissenschlachten, mitternächtliche Imbisse und quatschen bis tief in die Nacht. Manchmal haben wir ihr einen Streich gespielt. Und egal, wie spät es war, sie hat immer gelacht. Dann zogen meine Cousins und Cousinen weg. Und ich wurde größer.
    Gran lächelt immer noch, aber nicht mehr mit den Augen. Sie seufzt viel und denkt, ich würde es nicht merken. Wir sprechen nie über Mum – das würde uns beide nur traurig machen –, aber auf eine merkwürdige Art und Weise gedenken wir ihrer, einfach indem wir zusammen sind. Sie war Grans einzige Tochter. Sie war
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