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Wer braucht schon Liebe

Wer braucht schon Liebe

Titel: Wer braucht schon Liebe
Autoren: Denise Deegan
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meine einzige Mum. Na ja, das versteht sich von selbst.
    Heute erzähle ich ihr ohne einen besonderen Grund von diesem echt nervigen Jungen aus meiner Klasse. Dessen Kuss ich anscheinend nicht vergessen kann. Wobei ich den Kuss natürlich nicht erwähne. Und auch nicht, dass er mich » Eisprinzessin« genannt hat. Sonst würde sie womöglich glauben, dass ich Probleme mit meinem Gefühlsleben habe oder so was.
    » Er ist wirklich total ätzend.«
    Sie hebt den Kopf und sieht mich an. Damit meine ich, dass sie mich richtig ansieht. Zum ersten Mal seit sechs Monaten habe ich ihre Aufmerksamkeit. Ihre volle Aufmerkamkeit. Es ist fast so was wie ein Sieg. Also komme ich ein bisschen in Fahrt und setze ihr ganz genau auseinander, was ich mit ätzend meine. Wie er mich das Boot hat ins Wasser schieben lassen. Mich praktisch ins Wasser gekippt hat. Wie er viel zu weit mit mir rausgefahren ist. Und wie er mich reingelegt hat, damit ich eine Trapezhose anziehe und mich aus dem Boot hängen lasse.
    Sie lacht. Ein richtiges Lachen. » Der Junge gefällt mir.«
    » Oh nein, du würdest ihn furchtbar finden. Er ist so was von eingebildet.«
    Sie lacht wieder. » Klingt wie dein Großvater.«
    Ich bin entsetzt. » Großvater war ganz anders.«
    Sie wird ganz träumerisch. » Früher war er genauso. Als wir uns kennengelernt haben.«
    Man stellt sich seine Großeltern nie verliebt vor, oder? Schließlich muss das ganz schön lange her sein.
    » Ich hoffe, du bietest dem jungen Mann was für sein Geld.«
    » Keine Sorge. Ich lasse ihm so einen Scheiß nicht durchgehen.« Gran macht es nichts aus, wenn ich Kraftausdrücke benutze.
    » Braves Mädchen. Vergiss nicht, mich über die weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.« Ich sehe ein Funkeln in ihren Augen, und plötzlich weiß ich, warum sie so aufgeräumt ist. Sie glaubt, dass es sich um eine von diesen Junge-trifft-Mädchen-Storys handelt. Und obwohl ich es schlimm finde, ihre Seifenblase platzen zu lassen, antworte ich trotzdem schnell: » Es wird keine weiteren Entwicklungen geben.«
    Sie wirft mir einen Blick zu, der besagt: » Ich weiß es besser.«
    Von wegen.
    » Weißt du was?«, sagt sie. » Ich glaube, ich hätte Lust auf einen Spaziergang.«
    » Wirklich?« Das ist ein gutes Zeichen. Sie ist immer viel spazieren gegangen.
    Manchmal sehe ich das Gesicht meiner Mutter in meinem eigenen. Aber nie, wenn ich es versuche. Manchmal zeichne ich es im Schlaf, viel klarer, als ich es in Erinnerung habe. Abends gehe ich mit einem Zeichenblock, einem Bleistift und dem Hund ins Bett und hoffe, dass ich am Morgen mit einem Bild von ihr aufwache. Wenn nicht, dann habe ich immer noch Homer.
    Sie hat es nicht vor mir geheim gehalten. Weil ihr nicht viel Zeit blieb und sie sie nutzen wollte, um mich darauf vorzubereiten … Aber man ist nie vorbereitet. Wie denn auch? Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn wir uns nicht so nahegestanden hätten. Aber um nichts in der Welt hätte ich das eintauschen wollen. Sie war meine beste Freundin – auch wenn ich das damals noch nicht gewusst habe.
    Ich wollte mich für immer an ihr festklammern. Manchmal wollte ich aber auch, dass es vorbei ist. Ihr zuliebe. Damit sie keine Schmerzen mehr hat. Aber immer wollte ich, dass ein Wunder geschieht. Ich habe darum gebetet. Jede Minute, jede Stunde, jeden Tag. Obwohl ich wusste – vielleicht, weil sie es mir immer wieder gesagt hat –, dass kein Wunder geschehen würde.
    Ihre letzten Worte an mich: » Du wirst ganz toll werden.«
    Ich fühle mich alles andere als toll.
    Montag, und alle stöhnen, dass wieder Schule ist. McFadden tut ganz cool, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihm jemand fehlt, den er herumkommandieren kann. Ich mache weiter mit der Eisprinzessinnen-Nummer. Und es klappt prima.
    In der Cafeteria sitze ich wie immer mit Sarah und Rachel zusammen. Er sitzt bei Mark, auch wie immer. Nur dass sich jetzt Orla und Amy zu ihnen gesetzt haben.
    » Wir müssen unbedingt mal wieder eine Party schmeißen«, sagt Sarah.
    Ich sehe sie an. Mein erster Gedanke ist: Es ist noch zu früh.
    Meine Augen wandern zurück zum anderen Tisch. Ist diesem Kerl nie kalt? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn je in seinem Schulpulli gesehen hätte. Immer nur im Hemd – aus der Hose hängend, mit hochgekrempelten Ärmeln – und seine Krawatte sieht aus, als hätte er sich gerade geprügelt. Er redet ununterbrochen. Amy beugt sich über den Tisch zu ihm hin, spielt mit ihren Haaren. Oh
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