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Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe
Autoren: Marte Cormann
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hatte, nicht zu verwischen, befeuchtete Karen sich die Lippen. Als Antonios prüfender Blick sie traf, straffte sie sich.
    »Sie sehen fantastisch aus, und das ist noch untertrieben.« Bei so viel Schwärmerei geriet Karen ins Grübeln. Kritisch sah sie an sich hinunter. »Das ist doch nur ein einfaches Kostüm. Geben Sie es zu, Sie wollen mir bloß Mut machen.«
    Ja, Mut machen für das, was ihr bevorstand, wollte er ihr nur zu gerne. Aber wieder einmal stellte er überrascht fest, dass Karen nicht das geringste Gespür für die Wirkung besaß, die sie auf andere Menschen ausübte.
    »Ich weiß gar nicht, weshalb ich so schrecklich nervös bin. Job ist Job. Allerdings habe ich bis vor kurzem noch geglaubt, Fürstentümer gäbe es nur im Märchen.« Ihr Blick wanderte den langen Gang entlang, von dem auch das Zimmer, in dem das Vorstellungsgespräch stattfinden würde, abzweigte. Ein schwerer roter Läufer auf einem Fußboden aus wertvollen Keramikfliesen. Rechts und links an den Wänden die Portraits finster blickender Ahnen. Trotz der strahlenden Sonne, die sicher auch schon zu früheren Zeiten die Räume erwärmt hatte, schien das Dasein der Palastbewohner nicht immer sorgenfrei gewesen zu sein.
    »Sie dürfen jetzt eintreten«, riss ein Herr mit grauen Schläfen Karen in vornehmer Steifheit aus ihren Gedanken.
    »Also gut, packen wir es an.«
    »Packen Sie es an«, verbesserte Antonio sie. »Ich habe schon einen Job.«
    »Danke, dass Sie mich daran erinnern.« Karens Herz schlug bis zum Hals, als sie den Raum betrat. Doch bereits nach dem ersten Schritt ins Zimmer stockte sie. Sie hatte ein Büro erwartet, keinen Krankensaal.
    »Wer ist das?«, zischte sie Antonio zu, den Blick auf den Mann im Bett gerichtet.
    »Ihr zukünftiger Chef, der Fürst von San Marcino.«
    Wahrscheinlich müsste sie sich jetzt geehrt fühlen, einem leibhaftigen Fürsten gegenüberzutreten. Doch dem alten Mann mit den eingefallenen Wangen und dem vom Schlaganfall gezeichneten Körper haftete so gar nichts Furchteinflößendes an.
    »Ist sie das?«, kam es misstrauisch vom Bett.
    Antonio neben ihr nickte, diesmal eindeutig respektvoll. »Darf ich vorstellen: Karen Rohnert. Sie ist deutsche Staatsangehörige und bewirbt sich um die Anstellung als Finanz- und Wirtschaftsprüferin unserer Verwaltung.«
    »Dann soll sie gleich mal nach meiner Urinflasche sehen. Ich glaube, die ist voll.«
    Senile Demenz, schoss es Karen durch den Kopf. Ihre Aufregung verflog so schnell, wie sie vorher gekommen war. Offensichtlich war der Fürst geistig nicht mehr in der Lage, ein vernünftiges Vorstellungsgespräch zu führen. Sobald sie hier wieder raus war, würde sie Antonio zur Rede stellen. Auch als Arbeitslose hatte sie keine Zeit zu verschenken.
    »Selbstverständlich bin ich gerne bereit, die zuständige Krankenschwester darum zu bitten. Es würde allerdings weniger Mühe bereiten, wenn Sie einfach auf den Knopf drückten, der sich neben Ihrem Bett befindet«, antwortete sie um Höflichkeit bemüht.
    »Hat man Sie nicht darauf hingewiesen, dass ich seit dem Schlaganfall praktisch bewegungsunfähig bin?«
    Die Worte kamen leise und verwaschen. Karen musste sich anstrengen, um sie zu verstehen. Umso erstaunlicher fand sie es, dass der Mann sich trotz seiner schweren Erkrankung noch so geschliffen ausdrücken konnte.
    »Ich gehe davon aus, dass Sie über genügend Geldmittel für qualifiziertes Fachpersonal verfügen. Deshalb wird man Ihnen die Klingel dort angebracht haben, wo Sie sie betätigen können. Andernfalls sollten Sie sich beschweren.«
    Der alte Fürst, der es liebte zu provozieren, kniff die Augen zusammen, um sich die rothaarige kleine Person noch einmal etwas genauer anzusehen. »Fehler führen in meinem Hause im Allgemeinen zur Kündigung«, sagte er lauernd.
    Karen lächelte ihm zu, doch in ihrem Kopf arbeitete es hektisch. Irgendetwas stimmte nicht, verriet ihr der Instinkt. Sie war sich nur noch nicht darüber im Klaren, was sie mehr irritierte: der knurrige alte Herr in seinem Krankenbett oder das Fehlen eines Personalchefs, der ihr die üblichen Fragen stellte.
    Hilfesuchend sah sie zu Antonio hinüber, doch der zuckte bloß mit den Achseln.
    Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Karen beschloss sich zu verabschieden. Wenn sie die Situation richtig einschätzte, führte das Gespräch zu nichts. Der Alte konnte sie nicht leiden.
    »Ich merke, dass es Ihnen im Moment nicht sonderlich gut geht. Rufen Sie mich an,
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