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Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe
Autoren: Marte Cormann
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Sinne. Das Fürstentum von Sayn-Cerrano, genau genommen seine Verwaltungsbehörde, sucht jemanden wie Sie.«
    »Sie wollen mich auf den Arm nehmen?!«
    Oma Käthes Augen blitzten auf. Aufgeregt griff sie nach Karens Arm und drückte ihn fest. »Das ist der mit dem Schlag. Ich meine, der Fürst. Und ausgerechnet dir bietet er eine Stelle an? Hast du’s schriftlich?« Wieder wies Oma Käthe mit dem Kopf auf Antonio. Das Misstrauen stand ihr im Gesicht geschrieben.
    Karen betrachtete ihre Großmutter nachdenklich. Sie war bestimmt nicht perfekt, aber ihr sechster Sinn für Schwierigkeiten hatte sie beide schon vor so mancher Dummheit bewahrt.
    »Meine Großmutter hat Recht. Gibt es eine offizielle Stellenausschreibung? Irgendein Papier, aus dem ich erkennen kann, dass Sie die Wahrheit sprechen und die Stelle tatsächlich existiert?«
    Um Antonios Augen herum zuckte es amüsiert, doch ruhig griff er in die Innentasche seiner Jacke und zog einen Briefumschlag hervor, den er Karen reichte.
    Skeptisch drehte Karen den Umschlag aus champagnerfarbenem Bütten in den Händen. Obendrauf prangte das farbenprächtige Wappen der von und zu Sayn-Cerrano.
    »Sieht echt aus«, befand Oma Käthe, die ihr über die Schulter schaute.
    Soweit wir es beurteilen können, dachte Karen, zog ein Blatt aus dem Umschlag und faltete es auseinander.
    Schwarz auf champagnerfarben stand dort geschrieben, dass die Oberste staatliche Verwaltungsbehörde des Fürstentums Sayn-Cerrano eine studierte Betriebsökonomin und Unternehmensberaterin suchte. Das Anforderungsprofil las sich wie auf sie persönlich zugeschnitten.
    Um Karens Mundwinkel huschte ein Lächeln. Antonio, der sie aufmerksam beobachtet hatte, registrierte es erleichtert.
    »Klingt gut«, bestätigte Karen. Doch dann fiel ihr Blick auf ihre Großmutter, die plötzlich winzig und schrecklich verloren wirkte. Ihre ständige Angst, verlassen zu werden, spiegelte sich in ihren Augen.
    Bedrückt schloss Karen die alte Frau, die über so viele Jahre hinweg liebevoll für sie gesorgt hatte, in die Arme.
    »Vielleicht bekomme ich die Stelle ja gar nicht«, versuchte sie halbherzig zu trösten.
    »Pah! Wenn die da unten bloß für fünf Pfennig Grips im Kopf haben, nehmen sie dich mit Kusshand.« Mit gerunzelter Stirn schob Oma Käthe ihre Enkelin von sich fort.
    »Außerdem brauchst du die Stelle. Wovon willst du sonst leben? Meine Rente allein reicht für uns beide nicht«, fügte sie beinahe trotzig hinzu.
    »Ich werde jedenfalls nicht den gleichen Fehler zweimal machen und dich bitten, bei mir zu bleiben, Kind – auch wenn ich schreckliche Angst davor habe, dich zu verlieren.«
    Karen schossen die Tränen in die Augen. »Ach, Oma! Ich lasse dich doch nicht im Stich! Dafür liebe ich dich viel zu sehr!« Karen wusste aus Erfahrung, dass ihre Großmutter Rührseligkeit hasste wie die Pest, deshalb widerstand sie nun dem Impuls, sie erneut in die Arme zu ziehen.
    »Es tut mir so Leid, mein Mädchen.« Oma Käthe räusperte sich. »Es war falsch von mir, dir nicht zu erzählen, dass deine Mutter tot ist. Heute weiß ich es. Aber damals warst du gerade sechs Jahre alt, ein Kind noch. Und du hast dir so sehr gewünscht, dass sie zurückkommt. Jeden Tag hast du von ihr gesprochen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, dich zu enttäuschen.«
    Karen wischte sich mit der Hand über die feuchten Wangen. »Und dann war es irgendwann zu spät?«
    Ihre Großmutter nickte traurig. Karen nahm ihre Hand und drückte sie stumm. Sie hatte verstanden. Eines Tages würde sie auch verzeihen können, doch noch schmerzte der jahrelange Betrug wie eine frische Wunde.
    »Mein Gott, dein Gast wird einen schrecklichen Eindruck von uns beiden Heulsusen bekommen. Wo steckt er denn?« Überrascht sah Karen sich um. Antonio hatte sich diskret zurückgezogen.
    Sie fanden ihn in der Küche am Herd, wo er sich hungrig schnüffelnd über die offene Pfanne beugte, in der noch die Bratkartoffeln des Vorabends auf Karen warteten.
    Noch nie hatte Oma Käthe einen Gast mit knurrendem Magen vor die Tür gesetzt. Entschlossen schlüpfte sie in ihre Kittelschürze.
    »Sie setzen sich an den Tisch, und Karen schenkt Ihnen ein Bier ein«, dirigierte sie, wieder ganz die Alte, keinen Widerspruch duldend.
    Und so kam es, dass sie zu dritt morgens um zwei Berge von Bratkartoffeln mit Spiegelei und Senfgurke in sich hineinschaufelten.

Vierzehn
    »Wie sehe ich aus?« Vorsichtig, um die Farbe, die sie kurz vorher frisch aufgetragen
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