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Wer aaahh sagt...

Wer aaahh sagt...

Titel: Wer aaahh sagt...
Autoren: Richard Gordon
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Montagmorgen stand der Energieminister im Mittelpunkt und nicht mehr Jim, dessen scharfe Bemerkung über seinen Chef mit Schadenfreude und Beifall aufgenommen worden war.
    Bereits seit längerer Zeit stand er im Kreuzfeuer der Presse, wegen seiner wehleidigen Geringschätzung derjenigen, die nicht seine Meinung teilten, besonders, wenn es dabei um ihn selbst ging. Ich stimmte den Zeitungen von ganzem Herzen zu. Dieser Mensch war bereits früher ein unausstehlicher Gesundheitsminister gewesen, dessen Karriere darunter zu leiden hatte, daß er während eines Fernsehauftritts Magenkrämpfe bekam, als er in seiner kriecherischen Art gerade den neuen, von der Regierung subventionierten Käse probierte, wie sich meine Patienten vielleicht erinnern werden.
    Als ich Sandra beim Mittagessen von den Kriminalbeamten erzählte, antwortete sie, absolut jeder in Churchford sei überzeugt, daß ich das psychiatrische Gutachten an die Öffentlichkeit gebracht hätte. Ich stöhnte frustriert auf, wie Kapitän Dreyfus auf der Teufelsinsel.
    Im Fernsehen wurde an diesem Abend Jims Ankunft in Heathrow gezeigt. Er stand da, die Hände in den Taschen seines gegürteten Regenmantels vergraben, und äußerte sein Bedauern über die Schwierigkeiten, in die die ganze Angelegenheit den Premierminister, die Regierung und seine Familie gestürzt habe. Ich saß an Sandras Sekretär und schrieb eifrig einen Brief an Charlotte, der so traurig und unglücklich klang, als handelte es sich um den Abschiedsbrief, den meine Familie finden sollte, nachdem ich mich aufgehängt hatte.
    Die Standuhr in der Diele schlug Mitternacht, als ich nach oben und zu Bett gehen wollte.
    Das Telefon klingelte.
    Ich griff zum Hörer. »Jim?«
    Stille.
    Ich sagte ein paarmal »Hallo?«. Schweres Atmen. Ein obszöner Anruf? Eine Drohung? Einigen Leuten macht es Spaß, Menschen, die sich in einer mißlichen Lage befinden, anonym Gemeinheiten an den Kopf zu werfen.
    »Ist dort der Doktor?« kam es unmißverständlich.
    Es war Sir Damian Havers - und seine Stimme erinnerte an eine uralte, knarrende Eiche im Sturm.
    »Was ist los?« fragte ich unwirsch.
    »Ich sterbe.«
    Ich ließ den dramatischen Effekt auf mich einwirken. Sir Damian starb bereits, wenn er sich erkältet oder den Finger in der Tür seines Rolls Royce eingeklemmt hatte.
    »Woran sterben Sie?« wollte ich wissen.
    »Ich glaube, ich habe Fieber.«
    »Reicht es nicht, wenn ich morgen früh vorbeikomme?«
    »Morgen früh? Ich fürchte, so lange werde ich nicht auf dieser Erde verweilen.«
    Ich zögerte.
    Eine rauhe Regel der Medizin besagt, daß selbst Hypochonder krank werden. Meine Praxis war bereits genug vom Pech verfolgt. Dann fiel mir ein, daß der verdammte Kerl mir noch fast tausend Pfund schuldete. Immer wenn ich ihn daran erinnerte, vollführte Sir Damian die graziöse Geste Antonios, der Shylock entläßt, und murmelte: »Mein Agent wird sich darum kümmern, lieber Junge. Ich habe einfach keinen Sinn für Geld. Ich wüßte nicht einmal, wie man in einem Postamt eine Dreieinhalb-Penny-Marke kauft.«
    »Ich komme gleich«, sagte ich mürrisch.
    Ich ging zurück zu dem Sekretär, schrieb eine Honorarnote für geleistete ärztliche Dienste, steckte sie ein und rief Sandra zu, daß ich noch einmal weg müsse. Kaltes Essen und kalte Betten sind typisch für die Ärzteehe.
    Ich fuhr über mondhelle Straßen nach Buskins, Sir Damians Wohnsitz, der über dem Weald of Kent lag. Unsere erfolgreichen Schauspieler sind wie unsere erfolgreichen Politiker erpicht darauf, Landedelleute zu werden. Ich überlegte, daß Sir Damians Sterbesucht dadurch verschlimmert wurde, daß er hauptsächlich Shakespeare spielte. Shakespeare-Schauspieler müssen viele Tode sterben, bevor es wirklich soweit ist. Hamlet, Othello, Macbeth und all die anderen Heldenrollen haben die kurze Regieanweisung »stirbt«, wenn das Publikum schon unruhig zu werden und an ein nettes Steak-mit-Chips und eine Flasche Beaujolais zu denken beginnt.
    Eine Handvoll Schauspieler - wie der Fernsehstar Nigel Vaugham, den ich davor bewahrt hatte, aus dem Drehbuch des Lebens gestrichen zu werden - wohnten in Churchford, in angenehmer Reichweite vom Westend. Sie waren begeisterte Patienten. Schauspieler kommen wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gelaufen wie zu einem Kindermädchen, weil sie das Peter-Pan-Syndrom sehr genießen. Mit kindlich-naivem Auftreten und Verstellungskünsten machen sie das große Geld, in Sir Damians Fall sogar das ganz große.
    Ich
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