Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
ängstigte mich das Gefühl, durch Einzelheiten dieser Artzu tief in die Sonderbarkeit des Lebens vorzustoßen, die ich niemals hatte kennenlernen wollen. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich eines Tages beschließen könnte, mir nach Vorwürfen einer Frau neue Bettsachen und sogar ein neues Bett zu kaufen.
    Zwei Tage später hatte ich Besuch vom Staatsanwalt. Er war ein junger Mann, der sich, wenn ich mich nicht irrte, für mich interessierte, obwohl er mich nicht verstand. Beziehungsweise, es war vermutlich umgekehrt: Er interessierte sich für mich, weil er mich nicht verstand.
    Sie sind doch Architekt von Beruf? fragte er.
    Ich nickte.
    Litten Sie Not? Hatten Sie keine Aufträge?
    Ich verneinte.
    Warum haben Sie sich als Hobbybetrüger betätigt?
    Das Wort Hobbybetrüger kränkte mich. Es verriet, dass sich der Staatsanwalt in meine inneren Motive nicht einfühlen konnte. Und obwohl ich mir vorgenommen hatte, mit ihm nicht über verborgene Wirklichkeiten zu sprechen, machte ich jetzt doch einen Versuch.
    Ich hatte mir von dem Betrug eine innere Belebung erhofft, sagte ich.
    Ich erkannte an seinem Gesicht, dass der Staatsanwalt diesen Satz nicht verstand.
    Das Hauptziel meiner Existenz ist eine Lebensersparnis, sagte ich dann auch noch.
    Es war offenkundig, dass er sich unter dem Wort Lebensersparnis nichts vorstellen konnte. Ich versuchte eine Erklärung, sie misslang. Er unterbrach mich nach zwei Minuten und sagte: Hauptsache, Sie sind geständig, das beschleunigt die Sache. Danach verließ er die Zelle.
    Den letzten Satz des Staatsanwaltes teilte ich Maria beiihrem nächsten Besuch mit. Maria war nicht so optimistisch wie ich. Ich versuchte, ihr die mögliche Bedeutung des Satzes zu erklären, ohne Erfolg. Maria saß mir reglos gegenüber und begann nach ein paar Minuten zu weinen. Zum ersten Mal durften wir dreißig Minuten miteinander sprechen und nicht bloß fünfzehn Minuten wie bisher. Auch darin sah ich ein hoffnungsvolles Zeichen. Obwohl es angenehm war, ohne Eile und Druck zu sprechen, brachten wir keinen sinnvollen Austausch zustande. Es lag vermutlich wieder an dem Beamten, der uns nicht aus den Augen ließ. Maria öffnete für mich ein wenig ihre Bluse, was mich rührte. Dann zog sie das Gummiband aus ihrem Haar und verteilte das Haar auf beide Seiten des Gesichts. Ich sagte tatsächlich: Du bist so schön wie eine Erscheinung. Beinahe hätte ich hinzugefügt: Natürlich wäre es besser, du würdest aussehen wie eine überlastete Krankenschwester, das wäre für mich erträglicher. Kaum war die Besuchszeit zu Ende und ich wieder in der Zelle, juckte mich erneut das Verlangen nach Onanie. Ich konnte es jetzt kaum noch fassen, dass ich früher einmal die Angewohnheit hatte, nach einem schönen (und befriedigenden) Abend mit Maria mich spätnachts von ihr zu trennen, um allein in einer Bar noch zwei Biere zu trinken und meine Lage zu bedenken und dann nach Hause zu gehen. Zu Maria sagte ich damals, dass es mir angenehm sei, wenn ich am folgenden Morgen in meinem eigenen Bett aufwachte, um sofort (ungewaschen, ohne Frühstück, ohne Konversation) mit der Arbeit zu beginnen. Das war nicht direkt gelogen, aber es war auch nicht ganz ehrlich. Der dunkle Hauptpunkt war meine Angst vor dem allmählichen Eintreten in eheähnliche Zustände. In der Bar geschah nichts Aufregendes und nichts Verbotenes. Ich traf dort ein paarMänner und ein paar Frauen, manchmal frühere Kollegen, Thekensteher und stille Trinker, viele von ihnen ebenfalls Liebesangstflüchtlinge. Aber ich hatte an der Theke das beruhigende Gefühl, dass ich bereits beigeschlafen hatte, also nicht blöde nach irgendeiner Frau schauen musste, die ich für mich interessieren wollte. Oder mir zu überlegen, welche frühere Freundin ich von der Bar aus anrufen könnte, was ich damals leider zuweilen tat. Es war damals befreiend, wenn wenigstens der Punkt Beischlaf geklärt war. Ein auf diese Weise geordneter Mann tritt den anderen Frauen gegenüber gelassen auf, sie sehen sofort, dieser Mann wird wenigstens vorübergehend nicht von seinem Hauptanliegen gequält.
    Ich verstaute die von Maria mitgebrachten Hemden, die frische Wäsche und ein Paar Hausschuhe. Die Hausschuhe wollte ich nicht, aber Maria ließ nicht locker. Es war unaussprechlich merkwürdig, in der Zelle mit Hausschuhen umherzugehen. Zwischen den Unterhemden lagen drei Briefe. Einer stammte von Erlenbach & Wächter, ich ahnte, was sie mir mitteilen wollten. Ich öffnete den Brief und sah
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher