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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt
Autoren: Britta Strauss
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Weile die Augen. „Wie bist du … wie konntest du heilen?“
    Statt einer Antwort beugte sich Elena zur Seite und bewegte ihre Hand auf den summenden Kristall zu, der ihn selbst bereits geheilt hatte. Langsam glitten ihre Finger in das Relikt hinein, Schicht für Schicht, bis sie sein strahlendes Herz berührte.
    „Moa’ris Schwester.“ Daniel wurde heiß und kalt zugleich. „Das muss es sein. Ixchas Seele hat dich verändert. Ich meine deine alte Seele. Was auch immer.“
    Was das bedeutete, wurde ihm nur schleichend klar. Die Zeit tangierte sie beide nicht mehr, ewige Jugend lag ihnen zu Füßen. Die große einsame Aufgabe, die oft so schwer auf ihm gelastet hatte, trugen sie nun gemeinsam. Und plötzlich verwandelte sich der Fluch in ein wunderbares Geschenk.
    „Ich erinnere mich wieder.“
    Elena streichelte ihm über das Haar, als er seinen Kopf in ihren Schoß bettete und für eine Weile nichts tat, als den Moment in sich aufzunehmen. Er sah nicht die Leichen, die im Sand lagen. Nicht die brennenden Scheiterhaufen oder das vom Sturm aufgewühlte Meer. Er sah nur sie. Und die strahlende Kraft, die von ihr ausging.
    „Ich kenne Moa’ris und Ixchas Geschichte. Sie ist traurig geendet, aber uns wird das nicht geschehen. Niemand kann uns jetzt mehr trennen.“
    „Wir müssen die Kristalle zurückbringen“, flüsterte er müde. „Dorthin, wohin sie gehören.“
    „Das werden wir.“
    Elena hob den Kopf und blickte auf das Wasser hinaus. Einen Moment erschien ihm ihr Gesicht fast fremd. Es war zu erhaben, zu unwirklich. Wie das Antlitz eines göttlichen Wesens, das lange Zeit geglaubt hatte, ein Mensch zu sein – und nun sein ursprüngliches Wesen zurückerlangt hatte. Doch so schnell der Eindruck entstand, so schnell verschwand er wieder. Als sie ihn wieder anblickte und lächelte, war sie zurückgekehrt.
    Die Frau, der er sein Herz und seine Seele zu Füßen legte. Wenn es nach ihm ginge, für den Rest der Ewigkeit.

Epilog

    Provinz Henan, China
    Die Zedern tropften vor Nässe. Elena konnte sich nicht erinnern, jemals so zufrieden gewesen zu sein wie jetzt, da sie starrend vor Dreck, mit verfilzten Haaren, aufgeschürften Knien, knurrendem Magen und schlammverkrusteter Jeans neben Daniel schritt, der kaum weniger Ähnlichkeit mit einem Waldschrat zeigte als sie. Seit ungefähr zwei Wochen verzichtete er auf die tägliche Rasur, weshalb er inzwischen eine kaum zu leugnende Ähnlichkeit mit der dunklen Variante des Yetis zeigte.
    Elena wusste inzwischen, warum er sich so sehr nach diesem Ort sehnte. Über den Bergen lag jener wilde, unberührte Frieden, wie er nur an wenigen Orten dieser Erde Jahrmillionen überdauert hatte. Sie hätten sich ebenso gut in den Anfängen der Weltgeschichte bewegen können, denn der dunstige Atem des Waldes, die dicken Teppiche des vor Nässe tropfenden Mooses, die uralten Bäume und Felsen, begrenzt von einem himmelhohen Gebirge, ließen den Fluss der Zeit gleichgültig werden.
    Weit waren sie in den letzten Monaten gereist. Sie waren in den Dschungel Yucatáns und in sein unberührtes, dunkles Herz gedrungen. Moa’ris Heimat, über der noch der Atem einer längst untergegangenen Kultur lag. Sie waren des Nachts in das Innere der Cheopspyramide gedrungen, um eine Macht zu spüren, die jenseits der Vorstellungskraft lag. Als sie den Kristall zurück in den Obsidianquader gesetzt hatten, war eine ungeheure Kraft durch sie hindurchgeströmt. Es war wie die Berührung des Universums selbst gewesen. Ein kurzer Moment der Erleuchtung, in dem ihr klar geworden war, das alles einem wunderbaren, sich ewig erneuernden Kreislauf folgte.
    Jetzt waren sie unterwegs zu dem Ort, an dem alles begonnen hatte. Zumindest für Daniel. Und auf gewisse Weise auch für sie.
    Irgendwann durchschritten sie ein liebliches Tal, in dem klare Bäche glucksten und Zedern in einem warmen Wind flüsterten. Ein Tempel tauchte zwischen den Bäumen auf. Überhaucht vom Licht des Abends, bewacht von goldenen Löwen und Drachen. Ein kleiner, dicker Mönch stand auf der Terrasse und winkte ihnen zu.
    „Ist das dein Lehrer?“ Elena fühlte sich etwas unwohl in ihrer Haut. War sie überhaupt willkommen?
    „Großmeister Zongyou.“ Daniel winkte zurück. „Aber keine Sorge, er wird dich mögen.“
    „Frauen sind in einem Mönchskloster selten gern gesehen.“
    „Nun ja.“ Er grinste, während sie auf den fröhlich strahlenden Großmeister zuliefen, der mit seinem watschelnden Gang ganz und gar nicht
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