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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird
Autoren: Manuela Martini
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durchschlüpfen muss, um im schummrigen, aber einigermaßen kühlen Dunkel die Packung Lieblingsspaghetti zu suchen. Daneben reihen sich in Strandnähe Geschäfte mit allem möglichen Kram für den Strand. Luftmatratzen, Surfboards, Bälle, Sonnenschirme, Klappliegen, Campingtische, Kühltaschen – und das alles in Plastik, hässlich und quietschbunt. Klar, eine Handvoll Bars und Cafés gibt’s natürlich auch, in denen zu jeder Tageszeit Espressomaschinen zischen und den intensiven Geruch nach frischem Kaffee verströmen.
    Im Sommer, vor allem im August, brodelt der Ort von Leben. Tagestouristen, denen die Hitze nichts anzuhaben scheint, besichtigen die nahe gelegenen Grotten und kehren zum Mittagessen in die Restaurants und Cafés ein, wo ihnen eifrige Kellner blitzschnell und geübt Papiertischtücher über die Tische decken und ihnen ruck, zuck ihr Touristenmenü und gleich die Rechnung servieren, damit sie ohne viel Zeit zu verlieren in ihren Bus oder ihren Mietwagen steigen und weiterfahren können, zurück nach Cannes oder St. Tropez und Nizza.
    Die eigentlichen Einwohner trifft man morgens und vor allem abends auf den Straßen und Plätzen, wo sich ihre Unterhaltungen zu einem brummenden Gemurmel vermischen, abends beschienen vom bronzefarbenen Licht der Laternen und begleitet von Musik aus den Bars, dem Rattern der Mofas und dem Klirren von Geschirr und Gläsern. Jetzt fügen sich zu all den Düften noch die von den verschiedensten Parfüms, von Wein, frischen Kräutern und Knoblauch und gegrillten Fischen.
    Hier ticken die Uhren anders, habe ich gedacht, als ich damals mit Claas in Les Colonnes aus dem Bus stieg. Im Nachhinein wundere ich mich, dass ich so naiv war. Aber vielleicht kennst du das: Du sehnst dich so sehr nach etwas, dass du dir irgendwann vormachst, es gefunden zu haben.
    Verlässt man den Ort nicht über die Küstenstraße, sondern nimmt man die schmale, ins Gebirge hinaufführende Straße, gelangt man zu den versteckt zwischen ausladenden Pinien gelegenen Ferienvillen, mit atemberaubendem Ausblick aufs Meer, kristallklaren Swimmingpools und weitläufigen, üppig blühenden Gärten. Dort leben glückliche, reiche Menschen, habe ich immer glauben wollen – und dass Julian und Tammy dazugehören. Doch das hat sich als Illusion herausgestellt.
    Sechs Wochen vor dieser Sache hatte ich was mit Claas angefangen, muss ich vielleicht noch erwähnen.
    Du musst dir Claas wie den lässigen Überflieger vorstellen, der in allen Fächern brilliert. Genau – schlaksig, mit braunen, wirren Locken, Hornbrille, einem meist spöttischen Grinsen im Gesicht und einem Blick aus den Augenwinkeln, der einem das Gefühl vermittelt, er wird gleich eine intelligente, witzige Bemerkung über dich machen und du denkst dir am besten jetzt schon eine schlagfertige Antwort aus.
    Unsere Beziehung begann auf intellektueller Ebene, um das mal so auszudrücken. Ich bin nämlich auch eine Überfliegerin.
    Claas gegenüber musste ich mich von Anfang an nicht dümmer geben, als ich bin – obwohl mir meine Mutter schon als kleines Mädchen mit dem altmodischen Horrorszenario drohte, als zu kluge Frau würde ich keinen abbekommen, ich würde nur alle verschrecken. Sie ist in manchen Dingen sehr altmodisch, reaktionär fast, aber das nur so nebenbei. Mir gefiel es, intelligent zu sein und von den Leuten für intelligent gehalten zu werden.
    Mit Claas, den ich als Bruder Carolins kennenlernte, konnte ich wie mit sonst niemandem stundenlang über soziokulturelle Hintergründe des Zusammenbruchs irgendeines Weltreichs diskutieren oder über die Auswirkungen der Quantentheorie auf die zukünftige Medizin. Ihn interessierte das genauso wie mich.
    Wenn wir uns richtig in Rage diskutiert hatten, küssten wir uns – und manchmal auch ein bisschen mehr.
    Er war mein erster richtiger Freund, muss ich gestehen. Also der erste, mit dem ich einen echten freiwilligen Zungenkuss ausgetauscht habe –, eben nicht so einen wie den von dem Arschloch in der Jugendfreizeit, wenn du verstehst, was ich meine.
    Vielleicht kannst du dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als Claas kurz vor den Sommerferien sagte: »Ein Freund von mir, dem ich Nachhilfe gebe, hat mich ins Ferienhaus seiner Eltern in Südfrankreich eingeladen. Ich hab mir gedacht, es wäre cool, wenn wir zusammen fahren.«
    Und ich sagte: »He, cool.«
    Ich hab die Schultage bis zu den Ferien gezählt, und zwar nicht nur einmal am Tag, wie sonst, sondern mindestens zehnmal am
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