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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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Klassenzimmer für ihren Unterricht, ihre jüdischen Lehrer brachten sie selbst mit.
    Und Gershon und seine Klasse waren eben an unserer Highschool gelandet. Ihr provisorischer Unterrichtsraum war neben unserem Literaturkursklassenzimmer untergebracht worden.
    »Hi«, sagte er, als wir im Korridor fast gegeneinanderstießen. »Warum rennst du so? Verfolgt dich jemand?« Er warf einen prüfenden Blick über meine Schulter, dann lächelte er mir zu. »Ich kann dich beruhigen, da ist keiner. Wenigstens niemand von Bedeutung, es sei denn, du fürchtest dich vor ein paar harmlosen Freshmen mit Ohrstöpseln in den Ohren.«
    Er hatte dunkle Haare und trug so ein Käppchen auf dem Kopf, wie viele Juden es tun. Seines war aber nicht einfach schwarz, sondern bunt geringelt und sah lustig aus. Ich bemerkte, dass ihm nicht entging, dass ich darauf starrte.
    »Ich bin übrigens Gershon«, stellte er sich vor und streckte mir die Hand entgegen. »Gershon Emanuel Gold. Wir sind hier bei euch einquartiert worden. Pass auf, dass dir die Augen nicht aus dem Kopf fallen.« Er fuhr sich mit der Hand über die bunte gehäkelte Kappe auf seinem Kopf. »Das ist nur eine ganz gewöhnliche Jarmulke . Auch Kippah genannt. Alle gläubigen Juden tragen sie.«
    Ich war einen Augenblick verlegen. Es gibt eine Menge Juden in Los Angeles und Rosies beste Freundin Jilliam hatte ebenfalls jüdische Wurzeln. Allerdings kannte ich keine gläubigen Juden.
    »Du heißt Gold mit Nachnamen?«, wiederholte ich darum rasch, um von meiner blöden Starrerei abzulenken. »Cooler Name.«
    Gershon lächelte wieder. Er hatte ein schönes, irgendwie klares Gesicht, eine hohe Stirn, dunkle Haare und große Augen, die ein bisschen traurig aussahen. Seine Lippen waren nicht so schmal wie Moons oder Leeks und ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie sie sich wohl anfühlten, wenn man sie küsste.
    »Wie heißt du?«, fragte Gershon. Unter den Arm geklemmt trug er ein paar Schulbücher, eines davon war in hebräischer Schrift geschrieben.
    »Sky«, sagte ich schnell. »Sky Lovell.«
    »Sky«, wiederholte Gershon. »Schöner Name.«
    Wir lachten beide einen Augenblick über unsere stolperige Konversation. Cooler Name. Schöner Name .
    Leider hatte ich es eilig, darum war ich auch so hastig über den Korridor geschlittert. Ich deutete auf den Klassenraum neben seinem. »Sorry, aber ich muss los. Ich bin schon wahnsinnig spät dran. Ich muss gleich ein Literaturreferat halten.«
    »Oh«, sagte Gershon. »Schade. Was für ein Buch?«
    »Wie bitte? Ach so. Wer die Nachtigall stört . – Kennst du’s?«
    Gershon schüttelte den Kopf. »Aber ich werde es lesen, versprochen.«
    »Es ist eins meiner Lieblingsbücher.«
    »Dann werde ich es gleich heute lesen.«
    Er lächelte ein drittes Mal.
    Ich lächelte auch.
    »Hast du vielleicht heute Abend Zeit? Wir könnten ins Silver’s gehen«, schlug ich in einem plötzlichen Anfall von Wahnsinn vor. Was tat ich hier? Ich hatte noch nie einen Jungen um ein Date gebeten. Warum ausgerechnet ihn? Und was, wenn dieser Gershon mich jetzt aufdringlich und penetrant fand?
    »Hm, leider kann ich heute nicht«, sagte er allerdings nur und wirkte fast ein bisschen betrübt dabei. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein. »Heute Abend beginnt der Schabbat , weißt du. Da muss ich zu Hause sein. Tut mir leid.«
    »Ah. Okay«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Unsicher versuchte ich, ihn nicht schon wieder irritiert anzustarren. Mir war bisher noch nie ein religiöser Mensch – und schon gar kein religiöser Jugendlicher – begegnet. Meine Eltern, Moon und ich hatten alle überhaupt keinen Draht zur Religion. Rosie war zwar ziemlich vergeistigt und zeitweise verschrieb sie sich dem Buddhismus oder der Esoterik, las plötzlich alles über Feng-Shui, räumte das komplette Haus um und besuchte nur eine Woche später inbrünstig ein Reiki-Seminar nach dem anderen. Aber nichts davon war je von Dauer gewesen oder hatte meinen Alltag wirklich nachhaltig beeinflusst. Yoga und die endlosen Besuche bei ihrem Psychofritzen waren – außer Moon und mir – das einzig Konstante in ihrem Leben.
    »Aber …« Gershon warf einen Blick auf eine der großen Korridoruhren, von denen es in jedem Stockwerk eine gab. Sie tickte laut und mahnend über unseren Köpfen. In ihrem Glas spiegelte sich ein rundes Stück des Himmels jenseits des großen Flurfensters. Ein paar Vögel durchflogen auf diese Weise die Uhr, was schön aussah.
    »… du hast
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