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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst...
Autoren: Teresa Medeiros
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Tante Marietta halten.
    Jedes Mal, wenn sie an ihre achtlos gesprochenen Worte dachte, wollte sie sich am liebsten vorbeugen und mit ihrer Stirn mehrmals auf die Tischplatte schlagen. Sie wusste nicht, ob es ihr peinlicher sein sollte, dass sie seinen Bruder beleidigt oder dass sie die albernen Gerüchte über seine nächtlichen Aktivitäten wiederholt hatte. Sie hätte sich vielleicht diese beiden Indiskretionen verzeihen können, hätte sie sich nicht einem schamlosen Flirt mit dem Verehrer ihrer Schwester hingegeben.
    »Miss?«
    Dankbar für die Ablenkung wandte Caroline den Kopf. Ein Lakai stand neben ihr und bot ihr ein silbernes Tablett an, voller Scheiben halb gegarten Roastbeefs, die im roten Bratensaft schwammen. Da sie spürte, dass sich ihr ohnehin schon gereizter Magen umzudrehen drohte, schluckte sie schwer und murmelte: »Nein, danke.«
    »Oh, ich nehme davon.« Statt darauf zu warten, dass der Lakai mit dem Bratenteller zu ihm kam, griff Julian über den Tisch und stach mit seiner Gabel in eine Scheibe. Dann steckte er sich das Stück Fleisch direkt in den Mund und begann genussvoll zu kauen.
    Plötzlich hielt er inne, schnupperte und rümpfte angewidert seine aristokratische Nase. »Du musst Gaston sagen, dass er weniger Knoblauch nehmen soll, Adrian. Heute Abend ist es einfach zu viel.«
    Caroline war die Einzige, die bemerkte, wie Portia eine Ecke ihrer Serviette in das kristallene Wasserschälchen vor sich tunkte und sich verstohlen damit über den Hals rieb.
    Wenigstens glaubte sie, sie sei die Einzige, bis sie zu ihrem Gastgeber blickte und ihn dabei ertappte, wie er nicht Portia, dafür aber sie mit unverhohlener Belustigung anschaute. »Sie müssen meinem Koch verzeihen«, sagte er. »Er ist Franzose, und man weiß ja, wie sehr Franzosen Knoblauch lieben.«
    Caroline konnte ihm das nicht ungesühnt durchgehen lassen. »Was ist mit Ihnen, Mylord? Mögen Sie ihn auch?«
    »Ziemlich. Ich finde, er sorgt für ein aufregendes Überraschungsmoment, und das selbst bei den einfachsten Speisen.«
    Sie warf ihm einen hochmütigen Blick zu. »Ah, aber anders als Sie mögen manche Menschen Überraschungen nicht sonderlich. Es gibt sogar welche, die sie als eine lästige Plage ansehen, die man tunlichst meiden sollte.«
    Kane lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und das nachdenkliche Glitzern in seinen Augen wurde stärker. »Das hinge natürlich von der Art der Überraschung ab, nicht wahr?«
    »Ja, in der Tat«, antwortete sie und erwiderte seinen Blick offen. »Und davon, ob die Überraschung auf einem einfachen Missverständnis beruht oder auf bewusster Täuschung.«
    Er nahm noch einen Schluck von dem Rotwein. »Ich muss zugeben, Miss Cabot, dass Sie für mich so etwas wie eine Überraschung sind. Seit Vivienne mir anvertraut hat, dass Sie praktisch im Alleingang sie und Portia aufgezogen haben, hatte ich eigentlich mit jemandem gerechnet, der wesentlich ...«
    »Älter ist?«, schlug sie vor.
    »Erfahrener«, verbesserte er sie taktvoll.
    »Dann tut es mir Leid, Sie zu enttäuschen, Mylord. Hätte ich geahnt, dass Sie eine gebrechliche alte Frau zu treffen erwarteten, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, meine hölzernen Zähne hervorzusuchen.«
    »Caroline war erst sechzehn, als Mama und Papa starben«, erklärte Vivienne und warf ihrer Schwester einen liebevollen Blick zu. »Seitdem ist sie für uns Mutter und Vater gewesen. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte uns Cousin Cecil in ein Waisenhaus verfrachtet.«
    Caroline spürte, wie sie rot wurde, als Kane den Kopf neigte, um sie anzuschauen. »Es kann keine leichte Aufgabe gewesen sein, die Verantwortung für zwei junge Mädchen zu übernehmen, als Sie selbst kaum mehr als eines waren. «
    Julian hob seine Gabel. »Ich denke, es muss doch entsetzlich öde gewesen sein, auf dem Land festzusitzen mit zwei Backfischen zum Aufziehen. Das soll keine Beleidigung sein, Kleines«, sagte er und lehnte sich zurück, um Portia hinter Viviennes Rücken zuzuzwinkern. Sie verschluckte sich an einem Bissen Wachtel und lief bis zu den Haarwurzeln dunkelrosa an.
    Caroline erinnerte sich an zahllose Tage, die sie über den Haushaltsbüchern gehockt hatte, die Finger steif vor Kälte und Müdigkeit; schlaflose Nächte, in denen sie Bilder von ihren Schwestern quälten, wie sie in irgendeinem Arbeitshaus vegetierten oder als Gouvernanten in irgendeinem Haushalt mit einem lüsternen Herrn und einer grausamen Herrin schufteten. Bilder, die immer noch wahr werden
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