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Wenn der Wetterhahn kräht

Wenn der Wetterhahn kräht

Titel: Wenn der Wetterhahn kräht
Autoren: Charlotte MacLeod
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es höchstwahrscheinlich
nicht, und es war ihm sicher auch herzlich egal, doch er war nicht dumm genug,
sich vor Mrs. Shandy eine Blöße zu geben. »Die verdammten Gören klettern
dauernd auf der Kanone rum«, knurrte er. »Und dann fallen sie runter und tun
sich weh, und schon kommen die Mütter angerannt und geben mir die Schuld.«
    »Ich vermute, viele Eltern arbeiten
hier in der Fabrik.«
    Helen machte eine Kopfbewegung in
Richtung Seifenfabrik, einem dreistöckigen Gebäude aus rotem Sandstein mit
schmutzigen Fenstern, das genau gegenüber dem kleinen Grasdreieck mit der
Kanone stand. Beide leisteten sich seit Ende der 60er Jahre des neunzehnten
Jahrhunderts hier Gesellschaft. Die Mündung der Kanone zielte genau auf die
Talgküche der Fabrik, für deren Kessel im Laufe der Jahre Tausende und aber
Tausende von Mastbullen ihr Fett geopfert hatten, damit daraus auf wundersame
Weise mit Hilfe von Pottasche und Duftstoffen die zartduftende »Lumpkin’s
Lilywhite« für liebliche junge Damen, die markante »Lumpkin’s Kemrein« für
schmutzige alte Männer, das unübertroffene »Lumpkin’s Schneewittchen« für
frische und duftige Wäsche und zweifellos noch diverse andere Seifen wunder
hergestellt wurden, von denen Helen nichts wußte.
    Dafür wußte sie allerdings, daß die
riesige Anlage sozusagen auf den Tiegeln mit Seifenlauge erbaut worden war, die
Druella Buggins Lumpkin vor vielen Jahren aus Kochfett und Holzasche
zusammengebraut hatte und ihr Ehemann Fortitude in den umliegenden Dörfern aus
den Satteltaschen seiner treuen Stute Beomia unermüdlich feilgeboten hatte. Sie
wußte auch, daß die winzige Lichtung, die Fortitude einst der Wildnis
abgetrotzt hatte, um seiner geliebten Braut ein trautes Heim zu schaffen, sich
zunächst zu einem Dorf und schließlich zu einer richtigen Kleinstadt entwickelt
hatte, und all das verdankten sie, zumindest metaphorisch gesprochen, nur Druellas
Seifenlauge. Hier gab es immer noch ziemlich viele Farmer und auch zahlreiche
Bürger, die tagsüber in der Nachbarstadt Clavaton arbeiteten und nur zum
Schlafen herkamen, aber nach wie vor waren die meisten Bewohner in der
Seifenfabrik hier in Lumpkin Upper Mills, dem größten Unternehmen vor Ort,
angestellt. Helen fragte sich, wie lange sie es wohl noch bleiben würden.
Einige junge Hitzköpfe, allen voran ein gewisser Brinkley Swope, der für die
Seifenformen verantwortlich war, warnten schon seit geraumer Zeit davor, daß
die altmodische Fabrik nicht mehr lange weiterproduzieren könne, wenn nicht
schleunigst etwas unternommen werde, um die völlig veralteten Maschinen und
Herstellungsmethoden zu verbessern.
    Noch vor zwei Wochen hatte Brinkleys
Bruder Cronkite, rasender Reporter vom All-woechentlichen Gemeinde- und
Sprengel-Anzeyger für Balaclava, einen langen Sonderbericht über den
Niedergang der Lumpkin-Werke auf dem Weltseifenmarkt verfaßt. Die Gemüter waren
angeblich so erhitzt, wie dies in einem langweiligen Nest wie Lumpkinton
überhaupt möglich war. Doch Helen Shandy bemerkte keinerlei Zeichen eines
bevorstehenden Aufruhrs, als sie sich von Polizeichef Olson verabschiedete und
ihren Wagen zurück zur alten Horsefall-Farm lenkte, wo sie ihren Gatten in
trauter Zweisamkeit mit ihrem gemeinsamen Freund Henny zurückgelassen hatte.
    Hengist Horsefall, wie er richtig hieß,
auch wenn ihn nie jemand so nannte, war weit in den Achtzigern. Peter, der noch
nicht einmal sechzig war und dies auch so bald nicht werden würde, wirkte neben
dem alten Henny wie ein rechter Frischling. Die beiden hatten es sich vorn auf
der Veranda gemütlich gemacht, genossen den Sonnenuntergang und stimmten sich
auf das Abendessen ein, indem sie sich einen Pflaumenschnaps, eine Spezialität
von Hennys Tante Hilda, als Aperitif genehmigten, während Hennys Neffen Eddie
und Ralph mit Hilfe ihrer zahlreichen Sprößlinge die Farmarbeit verrichteten.
Im Inneren des Hauses waren die angeheirateten Nichten Marie und Jolene,
diverse Großnichten und Urgroßnichten damit beschäftigt, das Abendessen
vorzubereiten.
    Eigentlich hatten die Shandys gar nicht
so lange bleiben wollen. Sie waren nach Lumpkin Corners gekommen, um Fotos von
einigen anderen Kunstwerken von Praxiteles Lumpkin zu machen, unter anderem von
einem ganz besonders interessanten Stück, das Henny höchstpersönlich gehörte
und einen Hahn darstellte, der auf dem Rücken eines Schweins thronte. Die
Horsefalls hatten jedoch darauf bestanden, daß die Shandys unbedingt zum
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