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Wenn der Acker brennt

Wenn der Acker brennt

Titel: Wenn der Acker brennt
Autoren: Brigitte Maerker
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Aber sie hatte keinen Rauch gesehen, und es roch auch nicht nach ätzenden Substanzen. Andererseits waren die schlimmsten Gifte nicht die, die man weder sehen noch riechen konnte? »Euch haben sie wohl zurückgelassen«, sagte sie, als sie die Spatzen bemerkte, die zwitschernd aus dem dichten Laub der Ulme neben dem Brunnen hervorlugten.
    Alles war in Ordnung, redete sich Christine gut zu, sonst wären die Piepmätze doch schon längst von den Ästen heruntergefallen. Wahrscheinlich hielten die Dorfbewohner nur eine Art kollektiven Mittagsschlaf und würden bald wieder auftauchen.
    Sie betrachtete das Wahlplakat, das an einer Wand vor dem Rathaus hing. Jeremias Rimbar, der Bürgermeister von Sinach, bewarb sich als Kandidat für den Landtag. Sie sprang vom Brunnenrand herunter, nahm ihre Kamera und ging zum Rathaus.
    Jeremias Rimbar war eine sportlich durchtrainierte Erscheinung, hatte dunkles kurzes Haar, schmale graue Augen und ein arrogantes Lächeln. Christine schätzte ihn auf Ende vierzig. Seine offen zur Schau gestellte Überheblichkeit weckte nicht gerade Sympathie in ihr, und trotzdem fotografierte sie das Plakat wieder und wieder, weil sein Gesicht sie trotz allem faszinierte. Sie hielt inne, als sie in der Ferne Menschen johlen und applaudieren hörte. Aufmerksam sah sie sich um. Sie konnte zwar noch immer keinen Dorfbewohner entdecken, bemerkte aber, dass die Tür der Apotheke am Ende der Straße geöffnet war. Vielleicht stieß sie dort auf jemanden, mit dem sie reden konnte.
    Das Gebäude der Apotheke, das zwischen zwei Gasthöfen lag, war wie die meisten Häuser und das Rathaus mit pastellfarbenen Malereien verziert. Über dem Eingang hing eine Glocke, die zum Einsatz kam, wenn die geschlossene Tür geöffnet wurde. Ein Tresen aus dunklem Holz, dahinter ordentlich eingeräumte Regale und blau-weiße Keramikschubladen mit weißen Knöpfen. Eine Apothekeneinrichtung wie vor hundert Jahren.
    »Hallo? Ist jemand da?«, rief Christine. Das Johlen und Applaudieren war inzwischen verstummt, aber noch war auch hier niemand zu sehen.
    »Grüß Gott.« Ein hagerer Mann mit schütterem Haar und geröteter Haut richtete sich überrascht hinter dem Tresen auf. Der zweite Sinacher, den Christine zu Gesicht bekam. »Ist es vorbei?«, fragte der Mann und schob die Hornbrille mit den dicken Gläsern, die auf seiner Nasenspitze hing, mit dem Zeigefinger nach oben.
    »Was soll vorbei sein?«
    »Die Dorfversammlung draußen im Gemeindehaus. In diesem Jahr geht es um die Wahl unseres Bürgermeisters in den Landtag. Ich dachte, Sie seien von der Presse.« Er deutete auf Christines Fotoapparat.
    »Nein, ich bin nicht von der Presse, aber warum sind Sie nicht zu dieser Versammlung gegangen, wenn ich fragen darf?«
    »Ich gehöre zur Opposition.«
    »Die nicht sehr groß ist, nehme ich an?«
    »Sie ist recht überschaubar. Wie kann ich Ihnen denn nun helfen? – Die sind ausverkauft, bedaure«, erklärte er, als er bemerkte, dass ihr Blick an dem Tourneeplakat von A.L.M . haftete, das an der Türinnenseite hing.
    »Ja, ich weiß, ich bin auch nicht wegen Konzertkarten hier. Ich möchte nur eine Auskunft von Ihnen. Sie stammen aus Sinach?«
    »Ich führe die Apotheke in der vierten Generation«, antwortete er stolz und drückte das Kreuz durch, sodass er gleich ein wenig größer erschien.
    »Dann können Sie mir bestimmt etwas über ein junges Mädchen erzählen, das vor dreißig Jahren in Sinach gestorben ist. Amata Lachner.«
    »Tut mir leid, darüber weiß ich nichts, gar nichts«, stammelte der Apotheker und betrachtete misstrauisch die Kamera.
    »Sie haben keine Ahnung, was damals mit ihr passiert ist?« Christines Anspannung machte bereits der Enttäuschung Platz.
    »Vor dreißig Jahren war ich in der Stadt zum Studieren, da war ich nicht auf dem Laufenden«, wich der Mann ihr aus.
    »Ich bitte Sie, der Tod des Mädchens war mit Sicherheit Gesprächsthema im Dorf. Das kann Ihnen doch nicht entgangen sein.«
    »Wie gesagt, ich war nicht hier, und ich gebe nichts darauf, was die Leute so erzählen.«
    »Was haben sie denn über Amata erzählt?«
    »Jetzt ist es vorbei«, überhörte er ihre Frage und sah durch das Schaufenster auf die Straße.
    Draußen war jetzt mächtig Betrieb. Frauen in bunten Dirndln, Männer in Trachtenjacken, dazwischen tobende sonntäglich gekleidete Kinder mit Luftballons in den Händen, die mit dem Abbild von Jeremias Rimbar bedruckt waren. Auch die Geschäfte öffneten nach und nach wieder, und
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