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Wenn der Acker brennt

Wenn der Acker brennt

Titel: Wenn der Acker brennt
Autoren: Brigitte Maerker
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gemacht hatte. Das eher leise Stück, das gerade lief, erzählte von einem Jungen, der sich schuldig am Tod seiner Familie fühlt, weil er im Haus gezündelt hat. Es berührte sie immer wieder aufs Neue.
    Ich könnte Lucien vorschlagen, das Konzert zu besuchen, um einige Fotos für sein Musikmagazin zu machen, dachte sie und zuckte gleich darauf zusammen, als nach einer Kurve ein Hinweisschild auftauchte. Bis nach Sinach waren es nur noch fünf Kilometer.
    Die Berge schienen mehr und mehr zusammenzurücken, verdrängten die Wiesen und Felder. Die Straße führte nun stetig bergauf und wurde schmaler, bis kaum noch Licht durch die dichten Tannen fiel. Endlich, als Christine schon das Gaspedal durchtreten wollte, um der Dunkelheit schneller zu entkommen, öffnete sich der Wald und machte einem Hochtal mit samtgrünen Hängen Platz. In der Mitte des Tals, umrahmt von schroffen Gipfeln, lag Sinach.
    Wie hell die Sonne hier wieder strahlte und die Wiesen und Almen in gleißendes Licht tauchte. Die Häuser mit ihren weißen Fassaden, roten Schindeldächern und üppig bepflanzten Balkonkästen, leuchtende Farbtupfer auf endlosem Grün. Stolz reckte der Zwiebelturm der Kirche sein vergoldetes Kreuz an den tiefblauen Himmel.
    »Welch ein Empfang«, flüsterte Christine, als die Kirchenglocken zu läuten begannen, im selben Moment ein Sonnenstrahl das Kreuz traf und es so aussah, als versprühte es Funken. Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, jemals in diesem Tal gewesen zu sein, kam es ihr vertraut vor. Das bilde ich mir nur ein, diese Täler sehen vermutlich alle irgendwie gleich aus, sagte sie sich und gab sich mit dieser Erklärung zufrieden.
    Der Friedhof von Sinach lag am Ortseingang. Die Äste der dunklen Tannen und Fichten verdeckten die Gräberreihen, nur die weiße Spitze einer Kapelle ragte zwischen den Bäumen hervor. Christine parkte vor der Friedhofsmauer. Ein Rasensprenger besprühte die Wiese, die an den Parkplatz grenzte, und trug den Geruch von feuchter Erde bis zur Straße. Christine nahm das Foto aus ihrer Tasche und betrachtete es. Kein Zweifel, das war der richtige Friedhof. Der Gedanke daran, was sie vorfinden würde, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie schob das schmiedeeiserne Tor auf, ging ein paar Schritte, blieb stehen und benutzte das Objektiv ihrer Kamera als Fernglas. Langsam schwenkte sie es über die Reihen der Gräber mit den dunklen Holzkreuzen, alle mit Spitzdach und einer geschnitzten Jesus-Figur. Da war das Grab! In der letzten Reihe, dort, vor der Mauer, hinter der ein dunkler Kiefernwald begann.
    » AMATA LACHNER , 21. Januar 1967   –   23. August 1982. Vergib uns!«
    Immerhin kümmert sich jemand um das Grab, stellte Christine fest, als sie sich dem kleinen Stück Erde näherte, auf dem weiße und rosafarbene Blumen blühten. »Wer warst du, Amata?«, flüsterte sie und legte den Strauß weißer Rosen vor das Kreuz mit der Inschrift. Sie blieb noch einen Augenblick stehen, dann trat sie von dem Grab zurück und fotografierte es aus verschiedenen Perspektiven.
    Nur wenige Meter entfernt hinter einer Hecke erkannte sie das Ortsschild, das sie hergeführt hatte. Genau aus dieser Position musste das Foto gemacht worden sein, das sie in der Birkenholzschatulle ihrer Mutter gefunden hatte. Als Christine die Kamera wieder absetzte, ließ sie ihren Blick erneut über den Friedhof schweifen. Vielleicht konnte sie jemandem aus dem Dorf nach Amata fragen. Aber da war niemand. Erst als sie sich zum Gehen umwandte, sah sie einen Mann im dunklen Trachtenanzug, der in Gedanken versunken an den Gräberreihen entlanglief. Obwohl er die siebzig sicher schon überschritten hatte, bewegte er sich überraschend schnell.
    »Grüß Gott, darf ich Sie etwas fragen?«, sprach Christine ihn an, als er in Hörweite war.
    »Um was geht es?« Er streifte sie mit einem fahrigen Blick und schaute dann an ihr vorbei, schien sich nicht wirklich für sie zu interessieren.
    »Ich würde gern mehr über ein Mädchen wissen, das hier begraben liegt.«
    »Welches Mädchen?«
    »Amata Lachner.« Merkwürdig für einen alten Mann, dachte sie, als sie das winzige goldene Kreuz in seinem linken Ohrläppchen bemerkte. »Ist Ihnen nicht gut?«, fragte sie besorgt, als er aufschaute und sie erschrocken musterte.
    »Nehmen Sie Ihre Kamera und verschwinden Sie. Die Ruhe der Toten ist heilig«, fuhr er sie grimmig an.
    »Ich will niemanden stören. Ich habe nur höflich um eine Auskunft gebeten.«
    »Es gibt aber nichts zu
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