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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
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sichtbare Welt ihre Festigkeit verlor.
    Ungläubig und wütend drehte Till am Steuer, doch das Boot reagierte nicht. Es rollte und taumelte, aus dem Nichts tauchte eine Welle auf und traf es wie eine volle Breitseite, so dass es sich neigte, bis sie dachte, es würde kentern. Vielleicht schrie sie. Vielleicht schrie sie vergeblich, ihr Atem jedenfalls ging schnell und heftig. Sie konnte sich jetzt nur noch festhalten, mit zusammengebissenen Zähnen, während die Gischt über die Kajüte hinwegfegte und Warren, der irgendein Werkzeug in der Hand hatte, das Luk zum Motorraum öffnete – Warren, der aufs Achterdeck gegangen war, um alles zum Guten zu wenden. Aber was sollte er schon tun? Wie konnte irgend jemand in diesem Chaos irgend etwas reparieren?
    Er war ein gelber Fleck in einer Welt, die aller Farben beraubt war, eben noch am Luk und im nächsten Augenblick nicht mehr, denn eine große, von achtern überkommende Welle warf ihn gegen die Kajütentür und goss einen halben Ozean in den Motorraum. Till warf ihr einen Blick zu, sein Gesicht war erschöpft und ohne Hoffnung. Warren wurde mit fuchtelnden Armen und keuchend aufgerissenem Mund gegen das Fenster geworfen und tauchte, geradezu unglaublich, aus dem schäumenden Tosen wieder auf – die Öljacke war ihm halb von den Schultern gerissen, untauglich, lächerlich, eine Kinderjacke, ein Puppenjäckchen –, und dann wurde er abermals umgerissen und verschwand. Im nächsten Augenblick sprang Till auf und wandte sich vom Steuer ab, das sich wild hin und her drehte. Alle Lichter im Armaturenbrett leuchteten, die Speigatten wurden überspült, die Bilgepumpe hustete schwächlich. Er packte sie am Handgelenk und zerrte sie hoch, und plötzlich waren sie draußen im Wüten des Sturms, der ihr den Atem nahm, und die nächste Woge türmte sich auf und zwang sie mit einem gewaltigen, eisigen Schlag auf die Knie, und sie war jetzt nicht mehr seekrank, sie war nicht mehr müde und erschöpft und wie betäubt. Alles in ihr, alles, was sie war, schrie in den höchsten Tönen. Sie würden untergehen, alle drei, das war offensichtlich. Sie würden untergehen und sterben und Futter für die Krabben sein.
    »Was soll das?« Warren, dem das Haar wie aufgemalt ins Gesicht hing, stand schwankend da und packte Till, als wollte er mit ihm tanzen, doch der schüttelte ihn ab und beugte sich zum Beiboot, um es loszubinden.
    »Das ist unsere einzige Chance!« brüllte er, taumelnd und wankend wie ein Betrunkener, in den Sturm. Er riss an den Leinen und zerrte heftig an der Persenning, mit der das Beiboot abgedeckt war.
    »Du bist verrückt!« schrie Warren. »Du hast deinen verdammten Verstand verloren!« Auch er taumelte und versuchte, das Gleichgewicht zu bewahren, und ihr ging es nicht anders. Sie war hilflos, und die Wellen drangen von allen Seiten auf sie ein. Das Boot hob und senkte sich leblos unter ihren Füßen. »Bei diesem Sturm überstehen wir keine fünf Minuten in dem Ding!«
    Aber da war das Beiboot, losgebunden und im Wasser, und sie saßen darin. Warren nahm die Ruder, und keiner dachte an die Schwimmwesten, denn diese waren zwar ganz neu und praktisch und versprachen, Männer, Frauen und Kinder beliebig lange an der Oberfläche des stürmischsten Meeres zu halten, doch sie waren ordentlich unter der Bank auf dem Achterdeck der Beverly B. verstaut, und die Beverly B. lief voll. Sie machte keine Fahrt. Sie ging unter.
    Schwerfällig wie ein mit Wasser vollgesogener Baumstamm in einem angeschwollenen Fluss trieb das Boot davon. Sie hatten den Rumpf weiß lackiert, als Kontrast zum braunen Holz des Decks und der Aufbauten – es war ein kaltes, reines, makelloses Weiß, das Weiß von Bettlaken und Nelken, das gespenstische Weiß eines Negativs, von dem es nie einen Abzug geben würde. Ungehindert donnerten die Wellen gegen die Fenster, und dann war das Glas verschwunden, die Beverly B. schaukelte müde, tauchte ein und kam noch einmal hoch. Die Decks waren jetzt unter Wasser, nur das Dach der Kajüte schimmerte bleich im trüben Licht der Morgendämmerung, und die Gischt wehte im Sturm wie ein Leichentuch.
    Beverly sah es, sie saß durchnässt, zitternd, zusammengesunken im Bug des Beiboots. Till war neben ihr, aber sie klammerte sich nicht an ihn, ganz und gar nicht, denn sie war zu sehr erfüllt von dem Bedürfnis, all dies hinter sich zu lassen, von hier fortzukommen, an Land. Sie empfand kein Bedauern. Sollte das Meer doch das Boot haben und all die Zeit und das Geld,
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