Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
sich bald legen werde, und danach werde die Sonne wieder herauskommen und die Welt bescheinen, und alles werde wieder so schön und friedlich sein wie gestern abend, als die Wellen leise an den Rumpf geschlagen hatten und die Sandwiches und das Bier im reinen Genuss des Augenblicks in ihren Mägen gelandet und dort geblieben waren. Aber keiner antwortete ihr. Sie hatte keine Angst, noch nicht, denn für sie war das alles neu, und sie vertraute Till. Till wusste, was er tat. Er wusste es immer. »Ich hab Kaffee aufgesetzt«, sagte sie, obwohl ihr schon übel wurde, wenn sie nur an den Geruch und Geschmack von Kaffee dachte und an den zähen Film, der an der Innenseite des Bechers haftete. »Was ist, Jungs« – sie musste sich zwingen, die Worte zu sagen –, »wollt ihr auch einen?«
    Dann war sie wieder in der Kombüse, schlug sich Ellbogen und Knie an und wurde hin und her geworfen, und als sie die Hand nach der Kaffeekanne ausstreckte, sprang diese wie von selbst vom Herd und verbrühte ihre rechte Hand. Bevor sie so richtig registrierte, was passiert war, lag die Kanne auf dem Boden, der Deckel klappte auf, und dampfendes Kaffeepulver und sechs Tassen schwarzer Kaffee ergossen sich über den Kombüsenboden. Ihr erster Gedanke galt den Planken – der Kaffee würde Flecken machen und sich wie Säure durch den Lack fressen –, und ohne sich um ihre Verbrühung zu kümmern, bückte sie sich, rannte wie eine silberne Flipperkugel von einer Ecke der Kombüse zur anderen und wischte alles mit einem Lappen auf, der im Nu so unerbittlich heiß wurde, dass sie sich die Hand ein zweites Mal verbrühte. Als sie den Boden schließlich so gut es ging saubergewischt hatte, ließ sie sich auf die Bank am Esstisch fallen. Sie war jetzt wütend, wütend auf das Boot und das Meer und die Männer, die sie in diese kleine, beschissene, klappernde, nach Meer stinkende Gefängniszelle geschleppt hatten, und sie schwor, nie mehr mit hinauszufahren, ganz gleich, was sie ihr versprachen. »Es tut mir wirklich leid, aber es gibt keinen Kaffee«, sagte sie laut. »Habt ihr gehört?« rief sie in Richtung der Stufen am Ende der Kombüse. »Keinen Kaffee, kein Frühstück, kein gar nichts. Ich hab die Nase voll!«
    Mit einemmal machte sich der glühende Schmerz der Verbrühung bemerkbar und sprang sie unvermittelt und mit bösartigem Stechen und Pochen an. Schon bildeten sich Blasen, die bald platzen würden, und sie wollte aufstehen und Butter auf die gerötete Haut auf dem Handrücken und zwischen den Fingern auftragen, doch sie konnte sich nicht rühren. Sie fühlte sich plötzlich so schwer, schwerer als das Boot, schwerer als das Meer, so schwer, dass sie völlig unbeweglich war. Sie würde hier sitzen, ja, das würde sie tun. Sie würde es aussitzen.
    Das war der Augenblick, in dem das Wasser aus dem Bugstauraum drang. Es war der Augenblick, in dem ihre Füße nass wurden und sie Angst bekam. Es war der Augenblick, in dem sie zum erstenmal an die Schwimmwesten unter den Sitzen auf dem von schäumenden Wellen überspülten Achterdeck dachte – und es war der Augenblick, in dem sie, sich am Tisch abstützend, zur Treppe ging und zum Cockpit hinaufblickte und sah, wie ihr Mann und ihr Schwager um das Ruder kämpften, und hörte, wie der Motor stotterte, sich noch einmal fing und dann erstarb. Ihr stockte der Atem. Etwas Wesentliches war mit einemmal abwesend, auf eine Art, die falsch war, ganz und gar falsch, eine Negation all dessen, was sie gewusst und geglaubt hatte, als sie den Hafen hinter sich gelassen hatten. Der Geist war aus der Maschine entflohen.
    Dann war sie oben und versuchte, Till und Warren von dem Wasser in der Kajüte zu erzählen, von dem Wasser, das nicht dorthin gehörte und durch den Bugstauraum drang, dessen Luk ebenfalls immer wieder überspült wurde, bevor das Boot das Gewicht der Wellen abschüttelte und abermals eintauchte. Doch Till hörte nicht zu. Till, ihr Fels in der Brandung, der Mann, der die Zerfleischung seines Arms und die feurige Explosion der Granate überlebt hatte, deren Splitter noch immer in seinen Beinen und unter den Narbenkonstellationen auf dem breiten Firmament seines Rückens verborgen waren, saß zusammengesunken, erschöpft und verwirrt am Steuer und drückte verzweifelt immer wieder auf den Knopf des Anlassers. Und Warren kämpfte sich, in eine gelbe Öljacke gehüllt und ununterbrochen fluchend, durch die Tür zum Achterdeck, während der Sturm in die Kajüte fuhr und die ganze
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher