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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
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die Bierflasche, die sein ständiger Begleiter war. »Bev hat den ersten Fisch gefangen!«
    Sie hatte ihre Angst überwunden. Oder nein, es war keine Angst – sie war keine von diesen hilflosen, ständig heulenden Frauen, die man in Filmen sah. Sie war nur erschrocken, das war alles. Und wer wäre nicht erschrocken angesichts dieses Dings, dessen Rücken bläulichschwarz war und dessen Bauch glänzte wie ein Haufen Silbermünzen und das ohne Vorwarnung wie ein Torpedo auf sie zugeschossen war? »Du lieber Himmel«, sagte sie, »was ist das?«
    Till hielt es ihr hin, und sie lächelte jetzt, ja sie lachte beinahe, lachte mit den anderen, doch zugleich wich sie zurück an die Reling, während der Himmel immer dunkler wurde und das Kielwasser schäumte. »Hast du noch nie einen fliegenden Fisch gesehen?« fragte Till. Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. »Was glaubst du, wo du bist, Frau?« sagte er und gab ihr einen Rippenstoß. »Du bist hier nicht in der Küche oder im warmen, gemütlichen Wohnzimmer. Du bist in der freien Natur.«
    »Darauf trinken wir!« rief Warren. »Auf Bev, die beste Anglerin von allen!« Und er wollte gerade die Flasche zum Mund heben, als sie die Hand auf seinen Arm legte. Ihr Haar flatterte im Wind. »Wenn das so ist«, sagte sie, »wirst du mir wohl noch ein Bier holen müssen.«
    Als sie erwachte, hatte sie einen trockenen Mund, und ihr war, als stiege irgendwo hinter ihren Augen eine Art Dunst auf, als wäre ihr Kopf im Schlaf voller Helium gepumpt worden. In der Koje gegenüber, weit vorn im Bug, der sich hob und senkte und dabei sanft auf das Kissen der Wellen schlug, schlief Till, das Gesicht zur Wand gekehrt, die gar keine Wand war, sondern die Beplankung des Schiffsrumpfs, der sie über einen schwarzen Abgrund aus Wasser trug. Unter ihr, tief unten, waren riesige und winzige Wesen: Wale, Ruderfußkrebse, Haie, Sardinen, unzählige Krabben – der Meeresboden wimmelte von den chitingepanzerten Legionen der Krabben, die allem, was ertrunken war, das Fleisch von den Knochen rissen und es in die Miniaturhäcksler ihrer Mäuler stopften. All dies wurde ihr im Augenblick des Erwachens bewusst, und sie war weder verwirrt noch desorientiert: Sie war nicht in dem Doppelbett, das sie noch abzahlten, und auch nicht auf der schmalen Matratze im Gästezimmer ihrer Eltern, wo sie tausend hohl widerhallende Nächte darauf gewartet hatte, dass Till zurückkehrte und sie heimführte. Sie war auf hoher See. Inzwischen war ihr das Schaukeln des Bootes so vertraut, als hätte sie nie etwas anderes gekannt, und sie spürte das gedämpfte Summen des Motors tief in sich, in ihrem Herzschlag und dem Pulsieren ihres Blutes. Auf See. Auf hoher See.
    Sie setzte sich auf. Ein Mondstrahl fiel in die Kajüte hinter ihr und zerschnitt den Tisch in zwei Teile. Dahinter war ein Teich voll Schatten, und hinter dem Schatten waren die drei Stufen zum Cockpit und zum grünlichen Schimmer der Instrumente, wo Warren mit seinen Muskelpaketen und dem eingravierten Mund am Ruder saß und sie durch die Nacht steuerte. Sie musste zur Toilette – dringend. Und sie brauchte Wasser, ein Glas Wasser aus dem Wasserhahn in der Toilette, der an den 150-Liter-Tank angeschlossen war. Till hatte so viel Aufhebens darum gemacht, denn auf See durfte man kein Wasser verschwenden – schließlich wusste man ja nie, wann man wieder neues Trinkwasser aufnehmen konnte. Es war soweit gekommen, dass sie sich beinahe scheute, den Hahn zu öffnen, aus Sorge, sie könnte einen einzigen kostbaren Tropfen verschwenden. Wie ging noch mal dieses Gedicht, das sie in der High School gelernt hatte? »Wasser, Wasser überall/ Und nirgends ein Tropfen zu trinken.«
    Die Ballade vom Seemann, das war es. Die Ballade vom alten Seemann. Er hatte unbedingt diesen Vogel töten müssen, nicht? Den Albatros. Wie sah ein Albatros eigentlich aus? Groß und weiß, nach der Illustration in dem Buch zu urteilen, das sie in der Bibliothek ausgeliehen hatte. Wie ein Dinosaurier vielleicht, nur nicht so groß. Inzwischen wahrscheinlich ausgestorben. Aber wenn Albatrosse nicht ausgestorben waren und es einem davon einfallen würde, herbeizufliegen und sich auf den Bug des Bootes zu setzen, würde sie nicht im Traum daran denken, ihn zu erschießen. Nein, sie nicht. Erstens hatte sie keine Waffe, und zweitens hätte sie auch gar nicht gewusst, was sie damit machen sollte, aber darum ging es ja gar nicht, oder? Wenn sie aus diesem Gedicht irgend etwas gelernt hatte – und
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