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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist
Autoren: T. C. Boyle
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die sie hineingesteckt hatten, solange es sie nur verschonte, solange es dort draußen, im Zwielicht, diese Insel gab und sie ihnen mit aufschäumender Gischt und schwarzblutenden Felsen entgegenkam. Sie ritten über zwei Wellen, drei, in die Höhe, und jetzt war es eine wilde Fahrt, viel wilder als alles, was ein Vergnügungspark wagen würde anzubieten, und mit einemmal waren sie in einer tiefen Grube mit Wänden aus aquamarinblauem Glas, und alles schien für einen einzigen schimmernden Moment innezuhalten, bevor die Wände über ihnen zusammenstürzten. Sie spürte das Gewicht, die Gewalt des Wassers, und plötzlich schwamm sie, die Kälte hatte sie im Griff, und instinktiv kehrte sie dem Dingi den Rücken und schwamm zurück zur Beverly B. , in der Hoffnung, dort etwas zu finden, an dem sie sich festklammern konnte – und dort war das Boot, es hob und senkte sich und sie mit ihm. Der Wind blies ihr in die Augen. Das Salzwasser brannte in ihrer Kehle.
    Sie sah Warren nicht, konnte ihn nirgends entdecken, aber dann wirbelte eine Welle sie herum, und er hätte überall sein können. Und Till – sie hatte ihn auf sich zuschwimmen sehen, sein unversehrter Arm hatte im schwarzen Wasser gerudert, bis er aufgehört hatte zu schwimmen. Wo war er? Die Wellen türmten sich zu Barrikaden auf, und sie konnte nichts sehen. Er rief nach ihr, dessen war sie sicher, sie hörte den ganz leisen Widerhall einer dünnen, brüchigen Stimme, Tills Stimme, vom Sturm verweht, bis sie schließlich verstummte. »Wo bist du?« rief sie. »Till? Till?«
    Die Wellen nahmen ihr den Atem. Ihre Glieder schmerzten, ihre Zähne klapperten. Zeit verging – sie wusste nicht, wieviel –, doch alles blieb, wie es war. Sie klammerte sich an das stampfende Wrack der Beverly B. , weil es das einzige war, was es gab. Irgendwann tauchte sie unter, um die Tennisschuhe, die sie behinderten, abzustreifen und der Tiefe zu übergeben. Dann zog sie die Bluejeans aus, deren Beine schwer wie Blei waren.
    Als die Beverly B. schließlich von einer Woge, so groß wie ein Kontinent, emporgeschleudert wurde und versank, befreite sie sich mit aller Kraft aus dem Strudel und trat Wasser. Die Wellen hoben sie auf und ab, auf und ab. Sie war allein. Verlassen. Das Boot war verschwunden. Till war verschwunden und Warren ebenfalls. Sie spürte in sich etwas flattern, als hätte es Flügel: Es war die Panik, die sie unvermittelt zu einigen wilden Schwimmzügen antrieb und sich ebenso unvermittelt legte, und dann trat sie wieder Wasser und fuhr für eine Ewigkeit fort, Wasser zu treten, bis die Kräfte sie verließen. Tills Pullover zerrte an ihr. Er war zu groß, zu schwer, und er gab ihr nichts, keine Wärme, keinen Trost, keinen Till, nicht seine Stärke, nicht seinen Geruch. Sie schlüpfte heraus, holte tief Luft und ließ ihn versinken wie das Exoskelett eines ganz neuen Wesens, erschaffen aus Wasser und Salz und der alles durchdringenden Kälte.
    Sie versuchte, sich auf dem Rücken treiben zu lassen, doch der Wind blies ihr Wasser in Nase und Mund, so dass sie sich keuchend und spuckend umdrehen musste. War sie abgetrieben worden? Ertrank sie? Gab sie auf? Sie kämpfte mit erschöpften Armen und Beinen gegen die Angst an. Nach einer Weile verlor sie alles Gefühl in den Gliedern und ging unter, doch die Luft in ihrer Lunge brachte sie an die Oberfläche zurück, einmal, zweimal, noch einmal. Sie suchte nach etwas, an dem sie sich festhalten konnte, nach irgend etwas, irgend etwas Festem, doch es gab nichts Festes in diesem flüssigen Medium, in dem Delphine grinsten und fliegende Fische zum Flug ansetzten und Haie herumschwammen, wie es ihnen beliebte.
    Und Till? Wo war Till? Er hätte neben ihr sein können, drei Meter entfernt – sie hätte es nicht gemerkt. Sie schloss die Augen, holte Luft, ließ sich sinken und stieg wieder auf. Noch einmal. Schaffte sie es noch einmal? Sie hatte nie Verzweiflung kennengelernt, doch jetzt spürte sie sie, kälter als das Wasser: Sie kroch stumpf von den Füßen empor, in die Knöchel, die Beine, den Rumpf, sie überwältigte sie und ergriff Stück für Stück Besitz von ihr. Wasser, Wasser überall . Gerade als sie aufgeben wollte, als sie sich öffnen, weit öffnen und sich der beharrlichen, unnachgiebigen, gnadenlosen Kraft überlassen wollte, damit diese sie hinabzog, wo die Wellen sie nie mehr erreichen würden, gab das Meer ihr etwas zurück: eine Kiste, eine schwere Kühlbox, die tief im Wasser lag. Ein silbriges Ding,
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