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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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Entschlossenheit und unbeugsamer Siegeswille sprachen, erschienen dadurch weicher und milder, sozusagen landesväterlicher. Zugleich aber, und dieser Eindruck wurde von Mal zu Mal stärker, hatte die nach und nach über das Bild sich ausbreitende rosa Finsternis etwas vom Flackerlicht eines fernen Brandes. Die brandige Röte vermeinte Höllriegl förmlich zu riechen, und jedesmal, wenn er wider Willen hinsah, erfüllten ihn solche Beobachtungen, die wahrscheinlich nichts als Wahnideen waren, mit trüben Gedanken. Der Führer war siech; das wußte trotz der nahtlosen Nachrichtensperre die ganze Nation, und die halbe Welt flüsterte es sich zu.
    Höllriegl schob sich bedrückt an seinen Schreibtisch heran, die gute Laune war verflogen, auch das Gefühl des Wohlbefindens und der Geborgenheit war weg. Den Tisch bedeckten Haufen von Briefen, Formblättern, Broschüren und Zeitungsausschnitten; mitten in der Papierflut hatte besagter Burjak, ein ehemaliger Hilfslehrer aus dem Warthegau, der ihm aus dem Untermenschenlager Heydrich (UmL 1238) zugewiesen worden war, auf einem Blechtablett das Frühstück angerichtet. Höllriegl aß mit wenig Appetit und hastiger als sonst. Dabei blätterte er zerstreut in der letzten Folge der „Odischen Lohe“, des Fachorgans für Deutsche Pendelmutung. Sein Blick glitt über ein aufgeschlagenes Buch, es war Schultze-Rüssings „Lehrbuch der Grausamkeit“; das gestern nacht angefangene Kapitel, das Höllriegl schon halb auswendig konnte, handelte von den seelischen Abhärtungsmaßnahmen der asischen Rasse, insbesondere von der Behandlung der Leibeigenen. Knapp vor dem Schlafengehen hatte Höllriegl in dem reich bebilderten Wälzer geschmökert, nicht um sich seelisch aufzumöbeln, wie es Vorschrift war, sondern um gewissen, wie er sich eingestand: abwegigen Phantasien nachzuhängen.
    Die Post mußte bald da sein. Höllriegl überflog den Vormerkkalender. Es war Sonnabend, der einzige sprechstundenfreie Wochentag. Das späte Aufstehen hatte wohlgetan, das Große Wecken der Nation, von allen Sendern in die Welt gestrahlt, war verschlafen worden. („Wieder mal schlapp gemacht!“) Schuldbewußt drückte Höllriegl auf die Taste des Rundfunkgeräts, und alsbald quoll eine zähflüssig-pastorale Stimme aus dem Lautsprecher: „… Alles Läben ist Gnade. Doitsches Christsein, das ist und will nichts als die Heiligung alles Irdischen. Den Adel der Arbeit, Äden auf Ärden, tüchtich und gottkindhaft, ohne den jännseitssüchtigen Augenaufschlag, der nur untüchtich macht. So erfassen wir Doitsche …“ Die Erbauungsstunde der Reichsbewegung Deutscher Christen aus Osnabrück. Höllriegls Gedanken wanderten fort – zu gewissen strammen Formen –, kehrten aber schnell wieder zur salbadernden Stimme zurück: „… Und wenn da einer kommt, einer von dänen, die noch immer nicht begreifen wollen, daß ihre priesterliche Mittlerrolle ausgespielt ist, und uns mässianischen Führerkult vorwirft oder gar eitle Selbstvergottung der Partei und Nation, dem erteilen wir hiermit die entschlossene Antwort …“
    Um zehn, so stand auf dem Kalender, begann im lokalen Parteihaus der übliche Wochenendkurs für die Amtsträger von Unterabschnitt C-zwo. Ein Pflichtlehrgang über die Neuordnung der Partei in den Tschandalengebieten, mit besonderer Berücksichtigung der russischen Fronvogteien. Den Lehrkursführer, es war einer von den Warägern, wie der ehrwürdige SD und Deutsche Selbstschutz jetzt im Osten gemeinsam hießen, kannte Höllriegl flüchtig. Er mochte ihn nicht. Gut, er mußte trotzdem hin. Elf Uhr: Aufklärungsstunde für siebenbürgisch-sächsische Pimpfe, die in der Sachsenburg bei Heldrungen ihr Winterlager hatten, unter dem Motto „Zweimal Compiègne: 11. November 1918 – 21. Juni 1940. Eine Gegenüberstellung“. Dort hatte er die Berichterstattung, fade Routinesache, für den „Kyffhäuser-Boten“, weil Kummernuß an Grippe erkrankt war. Und hernach wollte er in der Schriftleitung Briefe ansagen und die Fahne seiner allsonntäglichen Spalte „Nordische Innenschau“ durchsehen.
    Er stellte den Empfänger auf Kurzwelle und drehte weiter. „Hier ist der Wehrmachtsender Johannesburg mit den Richtstrahlern Bloemfontein und Vereeniging. Wir bringen eine Übertragung vom Kameradschaftstreffen des Afrikaner Broederbond in Krügersdorp.“ Weiter. Eine hohle, neblige Stimme: „Den wir heilig sollten halten, den haben wir gefällt. Nicht ziemt uns beiden, nach der Wölfe Beispiel uns
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