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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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wissenschaftliche Weltbild der Neuzeit überhaupt erst begründet. Die im Faschismus grassierende Hohlwelttheorie behauptete demgegenüber schlichtweg, der Erdball sei ein nach innen gekrümmter Hohlkörper, auf dessen Innenhaut wir lebten. Das Weltall selbst ist rekonstruiert nach dem Vorbild der biologischen Zelle: die Kontinente an der Innenseite der Zellwand, in der Mitte als Zellkern die Sonne. Eine solche Gedankenwelt spielt sich jenseits jeder Wirklichkeit und wissenschaftlichen Erkenntnis ab und ist nichts weiter als der Ausfluß eines mystischen Glaubens, nämlich: „Wo wir auch hinsehen in der Natur, das Leben ist immer innen.“
    Es kommt nicht von ungefähr, daß die Romanfiguren Basils in einer irrwitzigen Welt agieren. Oberflächlich betrachtet, könnte man die Beschreibungen Basils oft als Satire auslegen, sie sind aber Reaktion, folgerichtig gestaltete Reaktion, auf den Irrwitz und Mythos des Faschismus selbst. Es kommt nicht von ungefähr, daß sich Höllriegl, selbst ein mystischer Wunderheiler, in das Reichszuchtidol Ulla von Eycke verliebt. Es kommt nicht von ungefähr, daß das einzig Liebenswerte in dieser Welt ein jüdischer Junge ist. Es kommt nicht von ungefähr, daß die faschistische Gesellschaft letztlich über sich selbst herfällt und nach Werwolf-Manier zerfleischt.
    In der Tat zerbricht der Faschismus im Laufe des Geschehens an seinen inneren und äußeren Widersprüchen, und er tut dies mit von Basil zwingend herausgearbeiteter Notwendigkeit. Die Quintessenz des Romaninhalts ist daher letztlich doch trotz aller Schreckbilder ermutigend und im Grundtenor optimistisch. Sie lautet:
    Faschismus war kein Ausweg aus den Problemen jener Zeit, hätte auch keiner sein können und kann auch nie zu einem Ausweg aus den Problemen unserer Zeit werden. Faschismus ist Irrwitz und Mythos von Anfang an. Faschismus muß an der Wirklichkeit und an sich selbst zerbrechen. Faschismus hat keine Zukunft.
    Helmut Krohne
     

 
Amazonisches
     
    Frô Saelde ist wilder danne ein rêch, und ist ouch wider mich gevêch.
    Ich folge ir allez ûf ir spor,
    und bin ir dicke nâhe komen:
    nû get si mir mit listen vor.
    Herr Rubin

 
     
     
     
    Der 9. November 196.. war ein Sonnabend. Träge strich naßkalter Wind durch die Gassen von Heydrich – Heydrich im Kyffhäusergebirge – und schüttelte die letzten Blätter von den Bäumen. Es roch nach Schnee und wäßriger Verwesung. Das Licht des Spätmorgens verschluckte alle Farben; die Dinge wurden fahl und unwirklich in der zähen, weißlich fließenden Dämmerung.
    Der 9. 10. und 11. November gehörten eigentlich zu den streng gebotenen Trauertagen der Nation. Aber die Erinnerung an die große Schande von 1918 war sogar in der Partei allmählich verblaßt, und so unterschied sich die Stimmung dieses nebligen Herbstmorgens in nichts von der seiner Vorgänger. Ein Tag begann, ein Tag wie jeder andere.
    Höllriegl, kalt geduscht, körperlich ertüchtigt, ging federnd, fast hüpfte er, die Treppe zu seinem Sprechzimmer hinunter. Die blankgewichsten Röhrenstiefel knirschten auf den Holzstufen. Wie schon öfters in der letzten Zeit, ärgerte er sich über Burjak, der das Metallschild an der Tür zu scheuern vergessen hatte, überhaupt immer schlampiger wurde. (Er behandelte die Leibeigenen zu gut – sein alter Fehler.) Auf der Platte war in gotischen Lettern zu lesen:
     
    ALBIN TOTILA HÖLLRIEGL
    Strahlungsspürer
    Geschäftsstelle Heydrich der
    NS-Fachschaft für Pendelweistum
    Behebung von Strahlungsschäden aller Art
    Auspendeln von Lebensumständen
    Schutzelektroden, Radiumschmuck, Schwingungsgürtel
    Entstrahlungsketten gemäß den VDI-Regeln
    für Siderische Geräte
    Nordische Daseinsberatung
    Sprechstunden außer Sonnabend täglich von 9 bis 11
    An Sonn- und Feiertagen kein Kundendienst
    KRIEG DEN ERDSTRAHLEN!
     
    Der Gyromant, also der Pendler, durchquerte den nüchtern eingerichteten Warteraum mit den zwölf rund um den Tisch sternförmig angeordneten Stühlen und betrat sein Sprechzimmer, das auch als Labor und für Entspannungs- und Versenkungsübungen diente. Vor dem Bild des greisen Führers, es nahm beinah die ganze, sehr schmale Stirnwand ein, hob er, die Schultern zurückreißend und die Hacken zackig zusammenschlagend, den Arm zum Deutschen Gruß. Das Führerbild, ein Farbfoto in Lebensgröße, war mit der Zeit stark rotstichig geworden, so daß es wie in abendlichem Dämmerschein erstrahlte; die Züge des Mannes, aus denen fanatische
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