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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte
Autoren: Otto Basil
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selber grimm zu sein wie der Norne Grauhunde, die gefräßig sich fristen im öden Tann. Hel will ihr Opfer!“ Das war der Reichssender Asgard: Deutschunterricht für das Jungvolk von Nordland. Weiter. „… du oller besengter Waldheini! Bist du denn heute von oben bis unten mit Schmirjelpapier abfrottiert worden? Du Jummiaffe hättest ooch zwei Jahre Altersheim ohne Bewährung vadient!“ – „Halt die Schnauze, sonst mach ick sie dir mitn Jewehrkolben zu! Wat solln denn die Kamraden von uns denken, wenn du deine Klappe nich maln bißchen halten kannst, du oller Rinnsteinpenner du! Bei uns herrschtn anständiger Ton, Tastann, sonst kriegstn Arsch voll!“ – „Welcher Oberdussel hat denn nu wieder mal …“ Ankara mit Unterhaltungsprogramm für die im Osmanischen Protektorat stationierte Truppe. (Höllriegl kannte alle diese Sendereihen bis zum Überdruß.) Weiter. Die gläsern zirpenden Töne eines fernen Cembalos – es war wohl einer von den starken Wolgadeutschen Sendern – schwebten durch das Zimmer mit seinen Bücherborden, seinen Vitrinen, in denen zauberische Gegenstände schimmerten: Pendel aus Bergkristall, goldglänzende Sterne zum Umhängen (die eigentlich Elemente sind), Silberplatten an Halskettchen, welche gegen Erdstrahlen immun machen, blitzende Antennen und Odoskope, Hochfrequenzschmuck, Ruten, Entstrahlungsketten, antike Pendel. Ah, die Goldberg-Variationen! Höllriegl drosselte die Lautstärke des Volks-Allempfängers und schlenderte, Hände in den Hosentaschen, ganz dem Lauschen hingegeben, zum Fenster. Wie Bach einst den Dom der deutschen Musik erbaut hatte, so hatte Adolf Hitler den Dom des Germanischen Weltreichs errichtet. Ein Dom, der eine feste Burg ist und bleiben wird, eine Grals- und Trutzburg, uneinnehmbar, unzerstörbar bis ans Ende der Zeit. Doch der Führer war krank, schwerkrank sogar, wie es hieß. Schwarze Gerüchte! Höllriegl erschauerte. Draußen im Nebel standen da und dort Menschen beisammen, bildeten Gruppen, und auf den Ästen saßen unbeweglich die Krähen. Um 13.30 Uhr war er zum Auspendeln eines Amtszimmers in die Richthofen-Straße bestellt. Und dann … dann würde er zu den Eyckes hinausfahren.
    Es klingelte an der Tür. Der Postbote. Höllriegl grüßte in seiner mundfaulen ostmärkischen Art „Heitla!“ Der Mann reichte ein paar Briefe und einen Pack Drucksachen durch die Tür. „Heil dem Führer“, sagte er freundlich und mit Nachdruck. „Heil dem Führer“, antwortete Höllriegl, seine Stimme bebte. Mit umwölkter Stirn betrachtete er den kargen Posteinlauf.
    Höllriegl war neu am Platz, genauer: er war erst vor einem Jahr aus Göringstadt, Oberdonau (dem ehemaligen Linz), in dieses Kyffhäuserkaff versetzt worden, zwangsversetzt. Wühlmäuse seiner Fachschaft hatten in Stadl-Paura, wo nach der feierlichen Verstoßung Wiens durch den Führer die Reichsstatthalterei der Ostmarkgaue hinkünftig ihren Sitz hatte, gegen ihn gewühlt. Er fühlte sich jung und war ehrgeizig. Man mußte es den Brüdern zeigen! Sein Kundenkreis wuchs ständig, nur galt es immer wieder, unterirdische Widerstände zu überwinden. Die örtlichen Stellen versäumten keine Gelegenheit, dem Ostmärker Prügel vor die Füße zu werfen, was um so leichter war, als gewisse Parteigliederungen und deren angeschlossene Verbände, zum Beispiel das Hauptamt für Volkswohlfahrt und der NSD-Ärztebund, aus Konkurrenzneid oder purer Engstirnigkeit eine unverhohlene Abneigung gegen Rutengänger an den Tag legten, sofern diese im Heileinsatz standen – ein Ressentiment aus Vorkriegstagen. Diese Abneigung war ursprünglich allgemein gewesen. Erst als die „metaphysische Richtung“ in Partei und SS gesiegt und Alfred Rosenberg die Schirmherrschaft über die Deutsche Gyromantie übernommen hatte – dies war knapp vor dem historischen Kriegsverbrecherprozeß von Toledo gewesen, bei dem 34 Staatsmänner der Alliierten zur Hinrichtung durch das Würgeisen (el garrote) verurteilt wurden –, erst dann verstummten die Angriffe gegen das Pendelweistum. Man hatte den Gyromanten nichts Geringeres als östliche Semantik, Geheimbündelei, Abweichung von der nordischen Linie, ja sogar Feindseligkeit gegen Partei, Staat und Wehrmacht vorgeworfen. Rosenberg, der Apostel des Rassegedankens und nach Toledo vom Führer zum Paladin der weltumspannenden Ariogermanischen Völkergemeinschaft (AGVG) mit zeitweiligem Sitz in Reykjavik, Delphoi und Benares ausgerufen, war stets ein Freund östlicher Weisheit
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