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Weltenende (German Edition)

Weltenende (German Edition)

Titel: Weltenende (German Edition)
Autoren: André Caspari
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die Batterien in den Drucklichtern.
    Jonas ging voraus. Die anderen folgten ihm in den niedrigen Gang, der bald über eine Treppe ein paar Meter nach unten führte, um erneut kerzengerade durch die Insel zu verlaufen. Mit jedem Schritt konnten sie weniger glauben, dass es derartige Gänge auf der Insel gab und sie nie je irgendetwas davon gehört oder gesehen hatten. Ein Anzeichen von der Ombrage oder auch nur, dass überhaupt jemand unlängst hier unten gewesen war, gab es nicht. Doch Jonas war dennoch sicher, dass sie auf der richtigen Spur waren. Er wusste nicht, was sie hier unten finden würden, aber er wusste, dass sie etwas finden würden.
    Je länger sie liefen, desto schwerer konnten sie abschätzen, wie weit sie vorangekommen waren. Die immer gleichen Wände nahmen ihnen jedes Gefühl für die Entfernung, lediglich die zuweilen linksseitig auftauchenden Räume meist mit alten Rohranlagen und Pumpen gaben ihnen überhaupt ein Gefühl des Vorankommens. Zweimal entdeckten sie größere Räume, die wohl Zugänge gewesen waren, auch wenn sie in Ludwigs Plan nur teilweise verzeichnet waren.
    „Ich wü rde gerne die Sonne wiedersehen“, sagte Carl sehr leise und dennoch hallte seine Stimme gespenstisch von den Wänden wider.
    Jonas Taschenlampe wurde bereits schwächer. Ludwigs Stablampe würde für den Rückweg genügen, dachte er und daran dachte wohl auch Ludwig gerade. „Ich bin nicht davon überzeugt, dass es noch andere Zugänge gibt. Wir werden wohl denselben Weg zurücknehmen müssen“, sagte er. „Ich sehe weder Ratten noch Mäusekot, nichts was diese Viecher für gewöhnlich hinterlassen.“
    „Es gibt keine Ratten auf Rabensruh“, sagte Carl.
    „ Das ist ein Ammenmärchen; Ratten gibt es überall“, antwortete Ludwig.
    „Vielleicht kommen wir auf dem Festland raus“, mutmaßte Carl grinsend.
    „Das wäre ja ein Ding“, raunte Jonas.
    „Dazu laufen wir in die falsche Richtung“, sagte Ludwig ernst.
    „Bist du ganz sicher?!“ Carl lächelte verschmitzt. Er hatte nur einen Scherz gemacht.
    Eine Abzweigung tauchte vor ihnen auf. Noch einmal ging es ein paar Stufen nach unten und Ludwig holte wieder den Plan aus der Tasche. „Das ist die einzige Kreuzung auf dem Weg oder zumindest die einzige, die auch auf dem Plan verzeichnet ist.“
    „Dann gehen wir links. Da ist einer der größten Räume.“
    Jonas lief weiter, jetzt aber langsamer und vorsichtiger. Ein Geruch lag in der Luft, herb und süß gleichermaßen.
    „ Das ist Weihrauch“, raunte Ludwig leise.
    „Da!“ Carl hatte es zuerst gesehen. Auf dem Boden war ein dünner Streifen Licht zu erkennen. Jonas richtete die Lampe in die Richtung und im Lichtfinger tauchte nach zwanzig Metern eine massive Stahltür auf.
    Jonas prallte wie gegen eine Wand. Eine Barriere mitten im Gang bereitete ihm ein tiefes Gefühl des Unbehagens, riss an seinen Eingeweiden und hinderte ihn weiterzugehen. Während Ludwig die Sperre gleichfalls empfand und stehen blieb, ging Carl einfach an ihnen vorbei.
    „ Der Raum ist geschützt“, raunte Ludwig.
    „Vo rsicht, Carl! Wir können nicht weiter“, flüsterte Jonas und entschlossen fügte er an: „Ich muss in den Raum schauen.“
    Jonas stemmte sich gegen die imaginäre Wand. Er strengte sich an, drückte sich in die Barriere, die sich ihm wie eine harte Matte aus Schaumstoff entgegenstellte. Sie nahm ihm die Luft, presste die letzten Reste aus seiner Lunge, bereitete ihm körperliche Schmerzen, doch er gab nicht auf, drückte mit aller Kraft, die er aufzubieten vermochte. Sein Magen krampfte sich zu einem steinernen Klumpen, der ihn zu Boden ziehen wollte. „Carl!“ Tonlos hauchte er den Namen. Schwerfällig, als hinge ein unendlich schweres Gewicht daran, hob er den Arm. Carl packte ihn, riss ihn mit einem Ruck durch die Barriere. Einmal durch die Wand, fühlte sich die Welt wieder normal an. Jonas holte tief Luft, musste nur für einen Augenblick durchatmen. Dann schlichen die beiden Jungen an die Tür. Jonas schaute durch den Schlitz am Boden. Eine einzige Fackel beleuchtete den Raum. Ein Mann in einer blutroten Robe hantierte an einem Tisch, der zu einer Art Altar mit schwarzweißem Tischtuch und Kerzen hergerichtet war. Das Buch mit den sieben Siegeln lag darauf. Es war das Buch; Jonas wusste sofort, obwohl es nicht mehr als eine Rolle war und auch viel kleiner, als er es sich vorgestellt hatte, kaum dreißig Zentimeter lang, mit sieben metallen wirkenden Siegeln wie Banderolen um das Pergament.
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