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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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diesem Schicksal konnte ich zumeist wenig bis gar nichts ändern. Also loteten wir in unseren Gesprächen die soziale Perspektive aus. Hatte er Verwandte, Freunde draußen? Hatte er ein Hobby, das er beispielsweise in einem Verein wieder aufnehmen konnte? Bestand eine Suchtproblematik oder ein anderes gesundheitliches Problem? Gab es einen Behandlungsbedarf?
    Ich steuerte den BMW über die, wie meist, relativ leere A20, betrachtete die Felder und Brachflächen, die sich an ihren Rändern dahinzogen, und die langsam die Zeit zerschneidenden rot-weißen Rotoren der Windkraftanlagen. Dabei überlegte ich, wie ich heute mit Walter auf das Thema Sexualität zu sprechen kommen könnte. Nach dreizehn Jahren Haft würde es da Bedürfnisse seinerseits geben. Die Tat, wegen der er verurteilt worden war, stand in gewissem Zusammenhang mit Sexualität – er hatte einen Nebenbuhler, den Geliebten seiner damaligen Ehefrau, erschlagen – heimtückisch und geplant. Es wäre gut, zu erfahren, ob er konkrete Vorstellungen hatte, wie er sein Sexual- und Beziehungsleben gestalten wollte. Ich würde ihn, von Mann zu Mann, fragen, was er plante. Ein Gähnen riss mir den Mund auf. Heute wollte und wollte ich mal wieder einfach nicht richtig munter werden. Müdigkeit lähmte mich, ich fühlte mich bleiern. In der letzten Zeit ging es mir häufig so. Die Belastungen der vergangenen Wochen und Monate forderten Tribut. An der   Fuchsberg -Raststätte fuhr ich kurz entschlossen von der Autobahn ab, obwohl mich sofort die schmähliche Erinnerung an mein einstiges Detektivspiel überfiel. Doch ich brauchte einfach einen Kaffee.
    Eine Dreiviertelstunde später begrüßte mich in der Anstalt ein missgelaunter, grimmig blickender Walter und unser Gespräch verlief – wie bei einem erschöpften Bewährungshelfer und einem verstockten Häftling zu erwarten – äußerst zähflüssig. Als ich beim Verlassen der Anstalt mein an der Pforte hinterlegtes Handy in Empfang nahm, sah ich, dass Ellen angerufen hatte. Ich schloss meinen Wagen auf und wählte unsere Nummer. Nach dem achten Klingeln meldete sie sich.
    »Ich bin es. Was gibt’s denn?«
    »Ach, du.« Sie klang ein wenig abwesend, vielleicht hatte ich sie gerade in einem Arbeitsprozess gestört. »Ich weiß, das klingt albern, aber vorhin war ich ein wenig beunruhigt.«
    Mein Herzschlag beschleunigte sich.
    »Wieso, was ist passiert?«
    »Nichts, also wahrscheinlich bilde ich mir da etwas ein. Aber hast du, als du das letzte Mal in der Gartenlaube gewesen bist, hinter dir abgeschlossen?«
    »Natürlich nicht. Das ist doch dein Metier«, konterte ich. Ich musste lachen, denn ein alter Zank zwischen uns bestand darin, dass Ellen dazu neigte, immer alles abzuschließen – was bei dem alten, halb kaputten Schloss unseres Gartenlaube genannten Geräteschuppens dazu führte, dass man es nur mit Mühe und Fingerspitzengefühl wieder aufbekam. Abziehen ließ sich der Schlüssel ebenfalls nicht mehr. Also ließen wir den Schuppen, mit steckendem Schlüssel, verabredungsgemäß unverschlossen. Das war nicht allzu gefährlich, denn es befanden sich nur unsere Gartengeräte und im Winter die beiden Fahrräder darin.
    Dann begriff ich den Sinn ihrer Worte. Mir wurde heiß. Man kam natürlich nur zum Schuppen, indem man durch unsere Gartenpforte das Grundstück betrat. Oder über die Nachbargrundstücke. Im Haus der Zastrows wohnte noch immer niemand, das Grundstück war verwaist, bot sich also nach wie vor an, um sich unbeobachtet an unser Haus anzuschleichen.
    »Seltsam, ich war es auch nicht. Aber die Laube ist abgeschlossen. Und, wie üblich, schaffe ich es nicht, sie aufzubekommen.« Ellen klang weniger besorgt, als genervt. »Ich wollte die Rosen schneiden. Nun komme ich nicht an die Gartenschere.«
    Ich sah auf die Uhr und mahnte mich, jetzt nicht die Nerven zu verlieren und auch Ellen nicht verrückt zu machen. Ich würde noch acht Stunden arbeiten müssen, heute Abend fand das Anti-Gewalttraining mit meinen Klienten statt. »Ich kümmere mich morgen darum. So lange können die Rosen doch noch warten, oder?«
    »Klar, die sind sogar froh, wenn sie ungestört noch ein wenig wuchern dürfen. Ich komme nur gerade mit der Skulptur nicht so recht weiter. Der Rosenschnitt war pure Vermeidungsstrategie.«
    Wir legten auf und ich vergaß meine Beunruhigung während des Tages, da dieser angefüllt war mit Kliententerminen, Telefonaten, Aktennotizen und Gesprächen mit meinen Kollegen. Am späten Nachmittag
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