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Weller

Weller

Titel: Weller
Autoren: Birgit
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Schweiß. Die typischen Ausdünstungen von in Synthetikkleidung Schwitzenden. Mir wurde klar, dass er, ebenso wie ich, unter massivem Stress stand. In jeder Sekunde konnte er sich entschließen, den Inhalt der Flasche, von dem ich keinen Moment lang annahm, es könne sich um etwas anderes als Batteriesäure handeln, über Ellen ausleeren. Ich musste um jeden Preis einen klaren Kopf behalten und in dieser Situation die Oberhand gewinnen.
    »Warum sie?« Ich deutete auf Ellen, ganz so, als wäre sie mir gleichgültig. »Sie wollen sich doch an mir rächen, nicht wahr?«
    Stimmte das wirklich? Wenn er die Studentin ermordet und die Frau am   Wonnemar   angegriffen hatte, war sein Opferschema tatsächlich weiblich. Seine Bilder fielen mir ein. Auf ihnen waren auch ausschließlich Frauen zu sehen gewesen – soweit das bei seinem gesichtslosen Malstil erkennbar war.
    Matzke brummte etwas Unverständliches. Er schien vage irritiert. Nach einem Augenblick beugte er sich hinunter, griff mit der freien Hand nach Ellens Haar, als wolle er sie daran hochziehen.
    »Herr Matzke, Sie sind doch kein schlechter Kerl.« Er stutzte. Mir gingen die Argumente aus; also bluffte ich. »Die Polizei ist bereits verständigt. Sie wird gleich hier sein.« Schnell ließ er Ellens Haar los und richtete er sich auf. Beinahe am unheimlichsten war sein Schweigen. Ich meinte sehen zu können, wie sich die Gedanken in seinem Schädel überschlugen, sich gegenseitig im Weg standen, überkreuzten. Also hatte ich ihn zumindest beunruhigt. Doch wie würde er mit diesem zusätzlichen Stressfaktor umgehen? Er stand wie angenagelt da, die Stirn in tiefen Falten. Ich war noch immer gute zwei Meter von ihm entfernt. Bevor ich mich auf ihn stürzen könnte, würde er die Flasche über Ellen ausgekippt haben.
    »Herr Matzke, das hat doch alles keinen Sinn.« Ich stellte vorsichtig einen Fuß vor. Da sah ich, dass Ellen ihre Augen geöffnet hatte und mich intensiv anstarrte, als wolle sie mir stumm etwas mitteilen. Matzke glotzte mich an, sein Unterkiefer mahlte. Ich versuchte, gleichzeitig ihn und Ellen im Blick zu halten, ohne dass es ihm auffiel. Ellen bewegte sich sacht, drehte sich wie in Zeitlupe und ich bemerkte in ihrer rechten Hand, die bisher unter ihrem Körper verborgen gewesen war, einen Stechbeitel. Scharf, spitz und, wenn man ihn als Waffe gebrauchte, mit Sicherheit tödlich. Manisch plapperte ich weiter, um diesen Irren von ihr abzulenken. Die Angst hielt meinen Brustkorb umkrampft, ich bekam kaum genügend Luft, um zu sprechen.
    »Auf jeden Fall müssen Sie erst einmal mich außer Gefecht setzen. Denn wenn Sie sich zuerst dieser Frau zuwenden, werde ich Sie angreifen. Das ist Ihnen doch wohl klar. Und da Sie eines noch nicht wissen, sage ich es Ihnen fairerweise: Ich habe einen schwarzen Gürtel in Karate. Ich brauche nur ein ganz kleines Stück näher an Sie heranzukommen. Sobald Sie auch nur für einen Sekundenbruchteil die Aufmerksamkeit von mir abwenden, sind Sie platt.«
    Ich war selbst erstaunt über meine Lüge, ließ mir jedoch nichts anmerken und versuchte meiner frei erfundenen Behauptung Gewicht zu verleihen, indem ich eine straffe Körperhaltung einnahm und meine flachen Hände in vermeintlicher Karatehaltung ausstreckte. »Kommen Sie. So haben Sie wenigstens die Chance des direkten Kampfes.«
    Er fixierte mich weiter, hob die Flasche auf Brusthöhe und machte tatsächlich einen Schritt auf mich zu.
    Ellen richtete sich lautlos auf, saß nun auf bloßen Füßen in der Hocke und umklammerte mit der Rechten den Stechbeitel. Wenn er sich jetzt zu ihr umdrehte, würde ich mich ohne Zögern auf ihn stürzen. Wir hatten zwar keinerlei Chance, uns durch Blicke zu verständigen, ohne dass er darauf aufmerksam würde. Dennoch war ich mir sicher, dass Ellen und ich uns wortlos verstanden. Jeder von uns würde, sollte Matzke den anderen attackieren, im selben Moment zum Angriff übergehen. Ich kannte Ellen gut genug, um ihr das zuzutrauen. Ob ich es mir selbst zutrauen konnte, mit bloßen Fäusten über diesen zum Äußersten entschlossenen Mann herzufallen? Meine letzte Prügelei hatte auf dem Schulhof stattgefunden – vor mehr als 40 Jahren.
    Doch ich hatte keine Zeit, Gedanken an meine Gewaltbe-reitschaft zu verschwenden. Denn in diesem Augenblick wandte sich Matzke wieder zu Ellen. Die hatte sich aufgerichtet, stand wie zum Sprung bereit und fixierte ihn. Ein mehr tierisches als menschliches Knurren entwich seiner Kehle. Sein Blick
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