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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille
Autoren: Georges Simenon
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…«
    Er war wirklich sehr hochgewachsen, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er hatte ein längliches Gesicht, eine hohe, aber etwas zu schmale Stirn, und er trug einen kleinen Schnurrbart, dessen dunkle Färbung seine schneeweißen Zähne besonders hübsch zur Geltung brachte.
    »Sind Sie mir sehr böse, Monsieur Graux, daß ich Ihr Bett in Beschlag genommen habe? Wir hatten ganz außerordentliches Glück, Buddy – ich meine Captain Philps – und ich. Kennen Sie die Elefantenfarm?«
    »Ja, ich kenne sie und auch Major Crosby.«
    »Er ist ein alter Kumpel von uns. Schon seit Jahren hat er uns zur Jagd eingeladen. Da ich eben eine Maschine für Langstreckenflüge gekauft hatte, dachte ich, das sei eine einmalige Gelegenheit, die Maschine einzufliegen, und ich habe Captain Philps, der ein großartiger Pilot ist, aufgefordert mitzukommen.«
    Während dieser ganzen Zeit mußte Camille sich in der Diele gedulden. Auf einem Tisch bemerkte Ferdinand eine Flasche Whisky und ein Thermosgefäß mit Eiswasser.
    »Als wir vorgestern abend«, fuhr Lady Makinson fort, »schon ganz in der Nähe der Farm waren, gerieten wir in geringer Höhe ganz plötzlich in eine Wolkenbank. Wir hatten überhaupt keine Sicht mehr. Es war kurz vor Einbruch der Nacht. Eine Stunde lang irrten wir umher und suchten nach einer offenen Stelle. Um das Gelände auszukundschaften, flogen wir manchmal so tief, daß wir fast den Boden berührten. Dabei haben wir Ihr Haus gesehen. Wir umkreisten es mehrmals und beschlossen dann, die Maschine, so sanft es eben ging, auf dem Hügel aufzusetzen. Wegen eines Strauches sind wir auf der Nase gelandet.«
    »Sind Sie verletzt?« erkundigte sich Graux, um etwas Höfliches zu sagen. Seine geistigen Fähigkeiten waren wie erlahmt.
    »Die Kniescheibe ist luxiert … Das soll mich nicht daran hindern, die Reise fortzusetzen, wenn es uns gelingt, die Maschine wieder instandzusetzen. Selbstredend werden wir Sie für die Ungelegenheit, die wir Ihnen bereiten, und die gefällten Bäume entschädigen … Im übrigen wird man mir sicher den Doktor aus Niangara schicken …«
    »Außer wenn er über Land gefahren ist, was er oft tut. Sind Sie ganz sicher, daß die Kniescheibe luxiert ist?«
    »Ganz sicher. Als kleines Mädchen habe ich mir das Schienbein gebrochen, und seither vergeht kein Jahr ohne Bänderzerrung … Inzwischen kenne ich meine Beine ganz genau …«
    Ferdinand sagte nichts. Auch sie schwieg, wodurch sie ihm wohl zu verstehen geben wollte, daß das Gespräch beendet sei. Philps ging schon zur Tür, und Graux verließ das Zimmer.
    »Ich sehe Sie gleich«, murmelte der Captain, der zurückblieb.
    Es war vier Uhr nachmittags. Camille, der auf ihn gewartet hatte, nahm die Pfeife aus dem Mund.
    »Was hältst du von ihr?«
    Die beiden Männer kannten sich schon von Kindheit an. Als Zehnjährige hatten sie einander geduzt und auf dem Land zusammen gespielt.
    Ferdinands Vater hatte das größte Waffengeschäft in Moulins, das sich am Ende der Rue de Paris befand. Er besaß einen Bauernhof bei Chevagnes, und Camille war der Sohn des Guts Verwalters.
    Ferdinand hatte ihn in den Kongo mitgenommen, um einen Gefährten, einen Freund in seiner Nähe zu haben und nicht einen Angestellten, aber Camille hielt an seiner Rolle des Untergebenen fest.
    »Sie soll eine sehr große Dame sein, die im Buckingham Palast Zutritt hat. Ihr Mann war lange Adjutant beim Prinzen von Wales.«
    »Hat der Captain dir das erzählt? Wie stehen die beiden zueinander?«
    »Sie haben es ja selbst gesehen …«
    »Drück dich ein wenig deutlicher aus!«
    »Ich weiß nicht. Er küßt ihr die Hand und zeigt sich sehr ergeben. Aber sie nennt ihn Buddy, und er raucht ihre Zigaretten an. Ich habe dem Captain mein Zimmer überlassen.«
    Das Haus war nicht sehr groß. Eine Hälfte der Wohnfläche nahm eine Art von Diele ein, die gleichzeitig als Aufenthaltsraum und als Eßzimmer diente. Dahinter befanden sich eine Küche und zwei Zimmer. Wenn man ein Bad nehmen wollte, wurde eine Zinkwanne hereingetragen, in die man aus Töpfen heißes Wasser goß.
    »Ich schlag mir mein Bett hier auf«, sagte Camille.
    »Ich schlag meins auch gleich auf.«
    Wieder mußte er lächeln, denn jemand rumorte in der Küche. Das war natürlich Baligi, die immer noch darauf wartete, daß der Herr ihr endlich Beachtung schenkte.
    Sie war eine fünfzehnjährige Logonegerin, von hohem Wuchs und geschmeidigen Gliedmaßen, die einzige im ganzen Land, die über ihrem nackten
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