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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille
Autoren: Georges Simenon
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heiß?« fragte man ihn.
    Er löste schallendes Gelächter aus, wenn er mit abwesendem Gesichtsausdruck antwortete:
    »Sehr heiß? Ich weiß nicht … Es kommt darauf an …«
    »Sind die Negerinnen hübsch?«
    »Sie sehen nett aus …«
    »Was treibst du denn so den ganzen Tag?«
    Ja, was machte er eigentlich? Er hätte es nicht sagen können. Arbeit gab es immer. Aber das ließ sich nicht erklären.
    »Na, dann erzähl uns doch wenigstens von deinem Haus?«
    »Es ist ein Backsteinhaus …«
    Alles brach in dröhnendes Gelächter aus. Nach vierzehn Tagen hatte er, obwohl er gern mit Emilienne zusammen war, nur noch eines im Sinn: so bald wie möglich abzureisen.
    Sie hätten noch mehr über ihn gelacht, wenn er ihnen gestanden hätte, daß er unter einer Art von Beklemmung litt, die ihn forttrieb.
    Er kannte das schon von seiner Schulzeit her. Man hielt ihn für einen Streber, weil er sich immer in seinem Zimmer einschloß. Er arbeitete auch wirklich fleißig, heimste im Gymnasium alle ersten Preise ein. Doch die Arbeit selbst war für ihn eher Nebensache. Das wichtigste war für ihn sein gegen die Außenwelt abgeschirmtes Zimmer, seine vertrauten vier Wände, wo alle Dinge immer an derselben Stelle standen.
    Kaum hatte er sein Zimmer verlassen, als ihm schon sein psychisches Gleichgewicht abhanden kam. Ein vages Gefühl der Beklemmung, für das er keinen Grund angeben konnte, ergriff von ihm Besitz. Wenn man das Wort an ihn richtete, blickte er zur Seite. Die einen hielten ihn für schüchtern, die anderen für hinterhältig.
    Das war völlig falsch! Er bewunderte Evariste, seinen Vater, der in seinem schwarzen Anzug tagein, tagaus in einem Winkel des großen Geschäftes saß und trotz seiner gichtigen Knie jedem Kunden persönlich entgegenging, obwohl drei Lehrjungen im Raum waren.
    »Wie geht es Ihnen, mein lieber Graf? … Waren Sie gestern bei der Marquise zur Jagd? …«
    Alle Großgrundbesitzer der Gegend waren seine Kunden. Er behandelte sie mit respektvoller Vertraulichkeit, die seinen Sohn sehr beeindruckte.
    »Na, Lucas, wie läuft der Prozeß? Die Kaninchen sollen dir ja drei Luzernenfelder kahlgefressen haben!«
    Auch mit den Bauern stand er auf freundschaftlichem Fuß, desgleichen mit den Jagdaufsehern, denen er einen Preisnachlaß zugestand, ja sogar mit den Wilddieben, die ihm ihre tollsten Bubenstücke erzählten.
    Ferdinand aber hätte es nie über sich gebracht, jemanden mit »alter Knabe« anzureden.
    Seinen Kameraden bezeichneten die jungen Frauen, die in Varietétheatern auftraten, nur als ›Nutten‹.
    Für ihn waren es Frauen, und er redete sie immer mit »Madame« an.
    Nur selten duzte er seine Braut, obwohl er sie von Kind auf kannte. Sie war die Tochter des Notars Tassin, der auch für die Familie Graux tätig war und jeden Mittwoch zum Abendessen in sein Elternhaus kam.
    Mit fünfzehn wurde er jedesmal rot, wenn er der dreizehnjährigen Emilienne begegnete.
    Als sie achtzehn wurde, munkelte man, sie würde einen Offizier der Garnison heiraten, doch die Jahre vergingen, ohne daß es zur Eheschließung kam.
    Er lebte schon seit drei Jahren im Kongo und verbrachte ein paar Wochen zu Hause, als seine Mutter ihm eines Tages sagte:
    »Du solltest mal bei Emilienne vorbeischauen … Jedesmal wenn Post kommt, fragt sie nach dir … Hast du denn nie etwas bemerkt?«
    Er fiel aus allen Wolken.
    So sahen sie sich wieder. Jetzt war er verlobt, und Emilienne Tassin würde ihm nachkommen, wenn die Regenzeit zu Ende war.
    Die inzwischen Siebenundzwanzigjährige war eine ruhige Person, genau wie er. Er hatte ihr eine lange Liste von Büchern über Kaffee, Vanille und Volkswirtschaft zusammengestellt.
    »Sie sind mir doch nicht böse, daß ich die Kaffeesträucher habe entfernen lassen?« fragte Camille vorsichtig.
    Die beiden Männer hatten so lange geschwiegen, daß Ferdinand zusammenzuckte. Sie standen immer noch vor dem Wasserfall.
    »Sie haben es mir geradezu befohlen …«, fuhr Camille fort.
    Man hätte aus der Haut fahren können! Diese Trasse, die nur dazu dienen würde, um das Flugzeug wieder flottzumachen, verunstaltete die ganze Landschaft, durchzog als breiter roter Graben die prachtvolle Vegetation des Hügels.
    »Haben Sie meine Eltern gesehen?«
    »Ja, ich war auf dem Hof. Deine Schwester Hortense erwartet ein Kind …«
    »Was, schon so bald? Und mein Vater?«
    »Er hält sich ganz gut …«
    »Immer noch der Weißwein?«
    »Wie früher … Am Abend tut man besser daran, ihm nicht zu
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